BGH-Urteil zu Gebrauchtwagenkauf
Rosenheim (ACE) 29. Juni 2016 – Ist bei einem jungen Gebrauchtwagen eine ungewöhnlich lange Standzeit vor der Erstzulassung ein Sachmangel? Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs (Aktenzeichen VIII ZR 191/15) kommt es immer auf den konkreten Fall an, also beispielsweise auf die Zahl der Vorbesitzer und den Kilometerstand. Autokäufern rät der Rosenheimer Vertrauensanwalt des ACE Auto Club Europa, Dr. Marc Herzog, deshalb, im Kaufvertrag auch das Baujahr zu vermerken.
Alle 5 Sekunden wird Gebrauchtwagen verkauft
Alle fünf Sekunden wird in Deutschland ein Gebrauchtwagen verkauft – insgesamt sieben Millionen Besitzumschreibungen gab es im Jahr 2014. Nicht selten endet der Autokauf jedoch nicht mit einem zufriedenen Käufer, sondern vor Gericht. Doch während ein defektes Getriebe oder ein verschwiegener Unfallschaden spätestens vor Gericht als Mangel eingestuft wird, ist die Frage wesentlich schwieriger zu beantworten, wenn es um die ungewöhnliche lange Standzeit vor der Erstzulassung geht. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat dazu bereits verschiedene Urteile gefällt.
Was ist „fabrikneu“?
Beispielsweise ist ein Neuwagen nur noch dann als „fabrikneu“ zu bezeichnen, wenn das Modell noch unverändert weiter gebaut wird, es nicht älter als zwölf Monate ist und es durch die längere Standzeit keine Mängel aufweist BGH, Urteil vom 15.10.2003, Aktenzeichen VIII ZR 227/02. Bei einem jungen Gebrauchtwagen, der vor der Erstzulassung fast 20 Monate auf dem Hof stand, ist das laut BGH jedoch nur ein Mangel, wenn es sich um ein sehr neues Fahrzeug handelt. Hier sind laut BGH weitere Faktoren wie der Kilometerstand und die Zahl der Vorbesitzer ausschlaggebend.
Baujahr im Kaufvertrag aufnehmen
Gebrauchtwagenkäufern empfiehlt der ACE-Vertrauensanwalt deshalb, im Kaufvertrag auch das Baujahr aufzunehmen. Fahrzeugbesitzer können dies beim Händler in Erfahrung bringen. Notwendig dafür ist nur die Fahrgestellnummer.
Bundesgerichtshof verneint Sachmangel bei einer zwölf Monate überschreitenden Standzeit eines Gebrauchtwagens zwischen Herstellung und Erstzulassung
In dem Urteil vom 29. Juni 2016 hatte sich der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob ein zwei Jahre und vier Monate nach seiner Erstzulassung verkaufter Gebrauchtwagen mangelhaft ist, wenn das Fahrzeug zwischen Herstellung und Erstzulassung eine Standzeit von mehr als zwölf Monaten aufweist.
Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde
Der Kläger kaufte im Juni 2012 von der Beklagten, einer Kraftfahrzeughändlerin, einen Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 38.616 km zu einem Preis von 33.430 €. Im Kaufvertragsformular war unter der Rubrik „Datum der Erstzulassung lt. Fzg.-Brief“ der 18. Februar 2010 eingetragen. Ein Baujahr wurde nicht genannt. Später erfuhr der Kläger, dass das Fahrzeug bereits am 1. Juli 2008 hergestellt worden war. Nach Ansicht des Klägers begründet die sich hieraus ergebende Dauer der Standzeit vor Erstzulassung (19 ½ Monate) schon für sich genommen einen Sachmangel des Kraftfahrzeugs. Er ist deshalb vom Kaufvertrag zurückgetreten und verlangt die Rückzahlung des Kaufpreises.
Das Landgericht hat seiner Zahlungsklage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Die hiergegen gerichtete, vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine Standzeit von über zwölf Monaten vor Erstzulassung bei einem Gebrauchtwagenkauf nicht ohne Weiteres einen Sachmangel begründet.
Die Parteien hatten weder ausdrücklich noch stillschweigend eine Beschaffenheitsvereinbarung über ein bestimmtes Herstellungsdatum oder Baujahr getroffen (§ 433 Abs. 1 Satz 2, § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der bloßen Angabe des Datums der Erstzulassung im Kaufvertrag kann – anders als der Kläger meint – eine solche (stillschweigende) Beschaffenheitsvereinbarung schon deshalb nicht entnommen werden, weil die Beklagte durch den einschränkenden Zusatz „lt. Fzg.-Brief“ keine verbindliche Willenserklärung abgegeben, sondern lediglich mitgeteilt hat, aus welcher Quelle sie die entsprechenden Angaben entnommen hat (Wissensmitteilung). Die Beklagte hat damit deutlich gemacht, dass sie weder für die Richtigkeit des Erstzulassungsdatums noch – darüber hinausgehend – für ein bestimmtes Baujahr des Fahrzeugs einstehen will.
Die Standzeit von 19 ½ Monaten zwischen Herstellung und Erstzulassung führt auch nicht dazu, dass sich der erworbene Gebrauchtwagen zum Zeitpunkt der Übergabe nicht für die gewöhnliche Verwendung eignete und nicht die übliche, vom Käufer berechtigterweise zu erwartende Beschaffenheit aufwies (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB). Zwar hat der Senat für den Kauf von Neu- oder Jahreswagen bereits entschieden, dass ein Autokäufer in diesen Fällen eine zwölf Monate nicht überschreitende Standzeit vor der Erstzulassung erwarten darf. Denn dem durch die Standzeit voranschreitenden Alterungsprozess kommt bei neuen Fahrzeugen oder zumindest „jungen Gebrauchtwagen“ besonderes wirtschaftliches Gewicht zu. Vergleichbare allgemein gültige Aussagen lassen sich bei sonstigen Gebrauchtwagen jedoch nicht treffen. Welche Standzeiten bei solchen Fahrzeugen üblich sind und ein Käufer – ohne zusätzliche Verkäuferangaben – erwarten darf, hängt vielmehr von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, wie etwa der Dauer der Zulassung zum Verkehr und der Laufleistung des Fahrzeugs, der Anzahl der Vorbesitzer und der Art der Vorbenutzung. Wenn das erworbene Gebrauchtfahrzeug – wie hier – zum Zeitpunkt des Verkaufs bereits längere Zeit zum Straßenverkehr zugelassen war und durch eine relativ hohe Laufleistung eine nicht unerhebliche Abnutzung des Fahrzeugs eingetreten ist, verlieren – wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – eine vor der Erstzulassung eingetretene Standzeit und der hierauf entfallende Alterungsprozess zunehmend an Bedeutung. Dass konkrete standzeitbedingte Mängel aufgetreten sind, hat der Kläger nicht geltend gemacht. Der Kaufvertrag ist daher nicht rückabzuwickeln.
Zitat:
Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 109/2016 vom 29.06.2016
Vorinstanzen:
Landgericht Göttingen – Urteil vom 27. November 2014 – 4 O 214/13
Oberlandesgericht Braunschweig – Urteil vom 23. Juli 2015 – 9 U 2/15