Zurückschiebung gem. §57 AufenthG unverhältnismäßig (VG München v. 22.11.2010- Az.: M 10 K 10.185
Sachverhalt:
Am 10. September 2009 kam der russische Staatsangehörige aus Mailand am Flughafen München an. Er beabsichtigte von dort die Heimreise nach Moskau fortzusetzen. Er war im Besitz eines Reisepasses, der mit einem am 3. Dezember 2008 erteilten italienischen Schengen-Visum der Kategorie D und C, gültig vom 5. Dezember 2008 bis 4. Dezember 2009 für mehrere Einreisen und eine Aufenthaltsdauer von 365 Tagen versehen war. Der Kläger wurde infolge einer Kontrolle nach Moskau (Russland) zurückgeschoben. In der dem Kläger ausgehändigten Verfügung über die Zurückschiebung vom 10. September 2009 wurde ausgeführt, dass der Kläger unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei, da er den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitze. Des Weiteren wurde in einem Zusatzblatt zur Verfügung über die Zurückschiebung ausgeführt, dass die einmalige Durchreise mit der D-Variante des Visums sowie die Einreise mit der C-Variante bereits am 4. März 2009 verwirkt worden sei. Die Zurückschiebung sei am 10. September 2009 um 21.30 Uhr durch die Weitereise des Klägers nach Moskau vollzogen worden.
Rechtsauffassung des Gerichts
Gemäß § 57 Abs. 1 AufenthG soll ein Ausländer, der unerlaubt eingereist ist, innerhalb von 6 Monaten nach Grenzübertritt zurückgeschoben werden. Das Gericht nahm an, dass die Anordnung einer Zwangsmaßnahme in Form der Zurückschiebung durch die Bundespolizei allein schon deshalb nicht gerechtfertigt war, weil der Kläger bereits auf dem Weg war, freiwillig auszureisen und ein weiterer Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland unstrittig zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt war.
Ziel einer Zurückschiebung ist in erster Linie die effektive Verhinderung der Begründung eines dauerhaft unerlaubten Aufenthalts.
Gedanklich setzt sie deshalb voraus, dass sich der Betroffene tatsächlich weiter im Bundesgebiet aufhalten will. Dies war hier jedoch nach dem übereinstimmenden Sachvortrag der Parteien nicht der Fall. Vielmehr war der Kläger auf seiner Weiterreise nach Moskau.
Sein einziges Ziel, das er im Zeitpunkt des Erlasses der Zurückschiebung verfolgte, war das Verlassen des Bundesgebiets. Eine behördliche Anordnung der vom Kläger ohnehin beabsichtigten Ausreise oder gar eine zwangsweise Durchsetzung derselben, wie sie § 57 AufenthG ermöglicht, ging damit von vorneherein ins Leere.
Das Gericht nahm unabhängig von der Frage, ob eine unerlaubte Einreise im vorliegenden Fall stattfand an, dass ein atypischer Fall vorlag, der eine Zurückschiebung nicht erlaubt. § 57 Abs. 1 AufenthG eröffnet den Behörden durch die „Soll-Vorschrift“ ein eingeschränktes Ermessen. Zwar soll eine Zurückschiebung im Fall einer unerlaubten Einreise in der Regel erfolgen. Bei atypischen Fallkonstellationen ist jedoch von einer Zurückschiebung abzusehen. Allgemein wird eine Zurückschiebung nicht in Betracht kommen, wenn dies dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widerspricht.
Entgegen der von der Bundespolizei vertretenen Auffassung sind dabei nicht nur die in Nr. 57.1.7 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz beispielhaft genannten Fälle zu berücksichtigen. Vielmehr ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und insbesondere dem Element der Erforderlichkeit stets Rechnung zu tragen (Westphal/Stoppa, AuslR für die Polizei, 3. Aufl. 2007, Kapitel E Nr. 19.5).
Es ist deshalb aus rechtsstaatlichen Gründen grundsätzlich nicht zulässig eine Zwangsmaßnahme zu ergreifen, wenn der Betroffene seiner rechtlichen Verpflichtung in vergleichbarer Weise freiwillig nachkommen will. Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die durch die Bundespolizei durchgeführte Zurückschiebungsverfügung als rechtswidrig. Denn beide Parteien gingen nach Ansicht des Gerichts übereinstimmend davon aus, dass der Kläger freiwillig nach Moskau ausreisen wollte und eine Zurückschiebung zur Durchsetzung der nach Auffassung der Beklagten bestehenden Ausreisepflicht nicht notwendig war.
Die Zurückschiebung diente letztlich nur dazu, das mit dieser verbundene Einreiseverbot gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu bewirken. Eine Zurückschiebung mit einer derartigen Zielrichtung ist jedoch grundsätzlich unzulässig (Westphal/Stoppa, AuslR für die Polizei, Kapitel E Nr. 19.5, S. 564).
Dr. Herzog Rechtsanwälte
Jürgen Liebhart, Dipl.-Jur.Univ., Dipl.-Verwaltungswirt (FH)
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