Wann haftet der Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber für Schäden ?
Innerbetrieblicher Schadensausgleich
Immer wieder stellt sich die Frage was passiert, wenn der Arbeitnehmer (AN) den Arbeitgeber (AG) im Rahmen einer betrieblich veranlassten Tätigkeit schädigt.
Hierbei wird oft als ungerecht empfunden, dass der AG, der selbst nicht arbeitet, sondern andere für sich arbeiten lässt, bei der Beschädigung von z.B. Arbeitsmaterial Schadensersatzansprüche gegen seinen AN geltend machen kann, obwohl der AN nur für die wirtschaftlichen Interessen des AG arbeitet und üblicherweise auch nicht so vergütet wird, dass das Risiko der Beschädigung, insbesondere teurer Arbeitsmaterialien adäquat mit abgedeckt ist.
Im Betrieb befinden sich oftmals sehr wertvolle Gerätschaften, die leicht beschädigt werden könnten. Wie soll z.B. eine Reinigungskraft, die aus Versehen ein teueres Gerät vom Tisch stößt, jemals den Schaden wieder begeleichen können? Muss der Arbeitnehmer schon nervös in die Arbeit fahren, aus Angst, bei einer Beschädigung einer mehrere hunderttausend Euro teuren Maschine bis zu seinem Lebensende zahlen zu müssen?
Aus diesen Gedanken heraus, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG), um die Haftung des AN abzumildern, das Institut des „innerbetrieblichen Schadensausgleichs“ entwickelt (BAGE 78, 56). So soll das Betriebsrisiko zwischen AG und AN angemessen verteilt werden.
Das BAG differenziert hierbei nach dem Grad des Verschuldens des AN und nimmt im Hinblick auf die Schadenstragungspflicht eine Abwägung zwischen dem Verschulden des AN einerseits und dem vom AG zu tragenden Betriebsrisikos andererseits vor.
Keine Haftung des Arbeitnehmers bei leichtester Fahrlässigkeit
So haftet der AN infolge leichtester Fahrlässigkeit überhaupt nicht, wohingegen er bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit grundsätzlich voll haftet.
Quotelung des Schadens bei mittlerer Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers
Liegt ein Fall der mittleren Fahrlässigkeit vor, erfolgt eine Haftungsquotelung anhand einer Abwägung von Verschulden des AN und Ausmaß des Betriebsrisikos des AG.
Volle Haftung des Arbeitnehmers bei grober Fahrlässigkeit
Bei grober Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber grundsätzlich auf Schadensersatz in voller Höhe. Liegt ein Fall grober Fahrlässigkeit vor, ist eine Haftungserleichterung unter Umständen aber nicht per se zu verneinen (vgl. BAG in NJW 2011, 1096ff). Gerade bei Schäden, die in einem krassen Missverhältnis zum Arbeitslohn stehen, neigt das BAG dazu dem AN nicht in voller Höhe haften zu lassen.
In dem vom BAG zu entscheidenden Fall vom 28.10.2010 (NZA 2011, 345ff) lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Beklagte war als Reinigungskraft gegen ein monatliches Bruttoeinkommen von 320Euro, in einer Gemeinschaftspraxis für radiologische Diagnostik und Nuklearmedizin beschäftigt. Etwa 2/3 des durchschnittlichen Umsatzes der Praxis wurde mit einem Magnetresonanztomographen(MTR) erwirtschaftet. Die Beklagte hat freiwillig eine Privathaftpflichtversicherung abgeschlossen.
Im Rahmen eines Privatbesuches am 08.01.2006 befand sich die Beklagte bei einer Bekannten, die ihre Wohnräume über denen der Gemeinschaftspraxis hatte. Bei Besuchsende nahmen die beiden Frauen auf dem Weg zur Haustür ein der Praxis einen Alarm , der vom MRT ausging, wahr. Die Beklagte ging hierzu in die nicht verschlossenen Räumlichkeiten der Praxis und wollte an der Steuereinheit des Geräts den Alarmton ausschalten. Die fest an der Wand montierte Steuereinheit besitzt fünf Schaltknöpfe, vier davon sin in blauer Farbe gehalten und mit „host standby“, „alarm silence“, „system off“ und „system on“ überschrieben. Oberhalb von diesen im Quadrat angeordneten blauen Schaltknöpfen befindet sich ein deutlich größerer roter Schaltknopf, der mit der weißen Aufschrift „magnet stop“ versehen ist und sich zusätzlich hinter einer durchsichtigen Plexiglasklappe, die vor Betätigung des Knopfes angehoben werden muss, versehen ist. Um den Alarm auszuschalten, drückte die Beklagte statt des dafür vorgesehenen blauen Knopfes den roten Schaltknopf „magnet stop“ und löste dadurch einen so genannten MRT Quench aus. Dabei wird das im Gerät als Kühlmittel eingesetzte Helium in wenigen Sekunden ins Freie abgeleitet, was das elektromagnetische Feld des Gerätes zusammenbrechen lässt. Die dadurch notwenige Reparatur dauerte bis einschließlich 11.01.2006 und kostete 30.843,01€. Unter Berücksichtigung des vertraglich vereinbarten Selbstbehalts zahlte die Betriebsunterbrechungs-Schadensversicherung, der Kläger für einen Ausfalltag Schadensersatz in Höhe von 10.289,34€. Der von der Versicherung nicht abgedeckte Nutzungsausfallschaden belief sich auf 18.390,00€ netto. Die Kläger behaupteten, der rote Knopf für die Notausschaltung sei zusätzlich durch zwei über dem Plexiglasdeckel angebrachte Klebestreifen gesichert gewesen, die beschriftet waren. Auf dem oberen Streifen hätte „ bei Alarm alarm silence drücken“ und auf dem unteren „nicht mag stop. Es wird teuer!“ gestanden.
Das Bundesarbeitsgericht hat einen Schadensersatzanspruch aus §280 I und §823 I BGB bejaht, diesen aber in der Höhe begrenzt.
Die Beklagte hat in dem sie den falschen Knopf am MRT betätigte ihre arbeitsvertragliche Nebenpflicht, den AG nicht zu schädigen verletzt.
Die Nebenpflichtverletzung resultierte daraus, dass die persönliche Bindung der Vertragspartner im Arbeitsverhältnis für beide Parteien bewirkt, dass ihre Verpflichtung zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teil im Sinne von §241 II BGB zu einer Vielzahl von Nebenleistungspflichten führt, welche die Hauptleistungspflicht vorbereiten und fördern , die Leistungsmöglichkeit erhalten sowie den Leistungserfolg sicher sollen.
Durch die Aufhebung der Funktionsfähigkeit des Diagnosegerätes wurden die Kläger auch in ihrem absolut geschützten Rechtsgut des Eigentums durch die Handlung der Beklagten verletzt.
Da das Verhalten der Beklagten schuldhaft- zumindest fahrlässig gewesen ist, und die fehlerhafte Bedienung unstreitig kausal für den entstandenen Schaden war, ist diese auch zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
Eine Haftungserleichterung wegen Vorliegens der Voraussetzungen aus §254 BGB war nichts ersichtlich. Es lag kein Mitverschulden des Arbeitgebers bzw. von dessen Erfüllungsgehilfen vor, welches nach §254 II 2, 278 S.1 BGB zugerechnet werden konnte.
Der Gedankte des §254 BGB wird jedoch auch auf solche Fälle erweitert, wo der Geschädigte bei der Entstehung des Schadens eine Sach- oder Betriebsgefahr zu vertreten hat. Hierfür dient der bereits oben genannte Aspekt, dass der AN im Rahmen einer fremdbestimmten Arbeitsorganisation tätig wird und aufgrund der Weisungsgebundenheit gegenüber seinem AG einem erhöhten Schadensrisiko ausgesetzt ist.
Um in den Genuss der Haftungserleichterung zu kommen ist jedoch zunächst Voraussetzung, dass es sich bei der ausgeübten Tätigkeit um eine betrieblich veranlasste Tätigkeit des AN handelt. Das BAG hat dies vorliegend bejaht. Als betrieblich veranlasste Tätigkeiten gelten solche, die arbeitsvertraglich übertragen worden sind oder die der AN im Interesse des AG für den Betrieb ausführt. Das Handeln muss gerade nicht zum eigentlichen Aufgabenbereich des Beschäftigten gehören. Ausreichen ist, wenn er im wohl verstandenen Interesse des AG tätig wird (BAG in NZA 2011, 345,346).
Die Darlegungs- und Beweislast für die betriebliche Veranlassung der schadensursächlichen Tätigkeit trägt nach den Grundsätzen der Beweislastverteilung derjenige, dem diese Tatsache günstig ist, also der AN (BAG in NZA 2003, 37,38).
Die Beklagte hat im konkreten Fall zwar außerhalb ihrer Arbeitszeit und nicht in direkter Verfolgung ihrer Hauptleistungspflichten gehandelt, wohl aber um der Erfüllung ihrer allgemeinen Sorgfalts- und Obhutspflichten als Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis gem. §241 II BGB nachzukommen, um somit einen Schaden von dem AG abzuhalten.
Das Verschulden, von dem die Haftung der Beklagten abhängig ist, muss sich dabei sowohl auf die pflichtverletzende Handlung als auch auf den Eintritt des Schadens beziehen. (BAG in NZA 2011, 345,347). Grund hierfür ist, dass die bezweckte Entlastung von der Risikozurechnung des Schadens nicht erreicht wird, wenn sich Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit nur auf die Pflicht- bzw. Schutzgesetzverletzung beziehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn abstrakte Gefahren zu vermeiden sind. Hier wäre auf die Pflichtverletzung bezogen das Verschuldensmaß der Haftungsprivilegierung bereits häufig erreicht, obwohl hinsichtlich des daraus entstandenen Schadens, möglicherweise noch nicht einmal normale Fahrlässigkeit vorliegt. Dadurch käme für alle Schaden eine volle Haftung in Betracht.
In der vorliegenden Konstellation ließ das BAG die vom Tatsachengericht festgestellte grobe Fahrlässigkeit unbeanstandet. Hinsichtlich der Schädigungshandlung wurde der Beklagten ein Höchstmaß an grober Fahrlässigkeit attestiert. Der Beklagten musste in der Situation bekannt sein, dass sie in die Bedienung des MRT nicht eingewiesen war und die Bedeutung der Bedienknöpfe nicht kannte. Die wahllose Bedienung eines zumindest durch eine Plexiglasscheibe besonders gesicherten Schalters, musste die Gefahr bergen, dass dadurch mehr passieren kann, als beim einfachen Abschalten des Alarmtons. Die Beklagte hätte in dieser Situation zumindest mit den Klägern Kontakt aufnehmen müssen.
Auch hinsichtlich des Verschuldensgrades bzgl. des Schadenseintritts handelte die Beklagte grob fahrlässig, weil sie sich der aufdrängenden Erkenntnis verschloss, dass ihr Handeln einen Schaden verursachen kann, wenn sie irgendeinen Knopf, dessen Funktion sie nicht kennt, betätigt.
Dass die Beklagte hinsichtlich des MRT-Quench ebenfalls-wie das LAG angenommen hatte- mit gröbster Fahrlässigkeit gehandelt hat, setzt allerdings voraus, dass sie nach ihren individuellen Fähigkeiten die objektiv gebotene Sorgfalt hätte beachten können. Dafür sah das BAG jedoch keine Anhaltspunkte. Die Beklagte hatte keinerlei Kenntnis darüber, dass sie durch Betätigung des roten Knopfes eine Notabschaltung auslöst, die einer Selbstzerstörung des Gerätes gleichkommt. Insoweit ist zwar von grober jedoch aber nicht von gröbster Fahrlässigkeit auszugehen.
Ob im Ergebnis aufgrund der angebrachten Klebestreifen nicht doch von gröbster Fahrlässigkeit auszugehen war, war für das BAG im konkreten Fall unerheblich, da eine Haftungserleichterung des AG auch in derartigen Fällen in Betracht kommen kann.
Im hier zu entscheidenden Fall, argumentierte das BAG, dass auf Seiten der Beklagten der Grad des Verschuldens ebenso haftungserhöhend zu berücksichtigen ist, wie die Tatsache, dass die Beklagte bei den Klägern als Reinigungskraft beschäftigt ist. Zu berücksichtigen sind vor allem die Ursachen und Motive der Beklagten. Haftungsbegrenzend wirkt sich jedoch die geringe Vergütung der Beklagten aus. Der eingetretene Schaden beläuft sich auf mehr als das Hundertfache eines Monatslohns der Beklagten und belastet diese daher in besonders hohem Maße. Gerade bei „Geringverdienern“ oder sogenannten „Minijobern“ dient der gesamte Verdienst in der Regel der Existenzerhaltung, sodass Rücklagen oder Reserven nicht bestehen.
Das Ergebnis des LAG zur Beschränkung der Haftung auf ein Jahresgehalt in Höhe von 3840€ wurde durch das BAG als rechtsfehlerfrei bezeichnet.
Am Ergebnis ändert auch die bestehende Privathaftpflichtversicherung nichts. Eine freiwillige Privathaftpflichtversicherung wirkt sich grundsätzlich nicht auf die interne Betriebsrisikoverteilung aus. Zugunsten des AN darf unterstellt werden, dass das gezahlte Entgelt im Verhältnis zu dem von ihm zu tragenden Risikos unangemessen gering ist. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der AG vor Einstellung des AN wegen der Risiken der gefahrgeneigten Tätigkeit den Abschluss einer solchen privaten Haftpflichtversicherung verlangt und zur Einstellungsbedingung gemacht hat.
Jürgen Liebhart