Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens
50 Empfehlungen zur Reform des Strafverfahrens
Die seit Juli 2014 einberufene Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des Jugendstrafverfahrens hat nun das Ergebnis zu einer Reform des Strafverfahrens vorgestellt.
Der von Justizminister Heiko Maas einberufenen Expertenkommission gehörten Vertreter der Wissenschaft, der juristischen Praxis, Experten aus den Landesjustizverwaltungen, dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz an.
Aus ihren Beratungen heraus hat die Expertenkommission in ihrem nunmehr vorgelegten Abschlussbericht 50 Empfehlungen zur Reform des Strafverfahrens formuliert und begründet. Mit den Empfehlungen soll das Strafverfahren effektiver und praxistauglicher werden. Den Empfehlungen der Expertenkommission liegt die Überzeugung zugrunde, dass eine Effektivierung und Steigerung der Praxistauglichkeit des Verfahrens durch Beschleunigungen und Verfahrensvereinfachungen erfolgen muss. Dabei sollen aber stets die Rechte aller Verfahrensbeteiligten gewahrt werden. Alle Empfehlungen sie müssen dem Ziel des Strafverfahrens dienen, nämlich der bestmöglichen Wahrheitsfindung.
Hier sind die Vorschläge zur Reform des Strafverfahrens nach Verfahrensabschnitten zusammengefasst:
Ermittlungsverfahren
- Einräumung eines Anwesenheits- und Fragerechts des Verteidigers bei polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen, Tatortrekonstruktionen und Gegenüberstellungen mit dem Beschuldigten
- Schaffung eines Antragsrecht des Beschuldigten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren
- Einführung einer Erscheinenspflicht von Zeugen bei polizeilicher Vernehmung, wenn der Ladung ein einzelfallbezogener Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt
- Abschaffung des Richtervorbehalts für Blutprobenentnahmen im Bereich der Straßenverkehrsdelikte; Übergang der regelmäßige Anordnungsbefugnis auf die Staatsanwaltschaft
- Regelmäßige audiovisuelle Aufzeichnung von Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen bei schweren Tatvorwürfen oder bei einer schwierigen Sach- oder Rechtslage
- Schaffung einer speziellen gesetzlichen Grundlage für den Einsatz der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) und von V-Personen sowie Neuausrichtung des Straftatenkatalogs bei der Telekommunikations-überwachung (TKÜ; § 100a Absatz 2 StPO) anhand übergeordneter Kriterien
- Ausdrückliche gesetzliche Regelung des Verbots der Tatprovokation
- Erweiterung der Möglichkeit, zivil- oder verwaltungsrechtliche Vorfragen vor Anklageerhebung im Zivil- oder Verwaltungsrechtsweg klären zu lassen
Zwischenverfahren
- Prüfempfehlung, wie die Filterfunktion des Zwischenverfahrens bei Land- und Oberlandesgerichten mit dem Ziel der Vermeidung oder Entlastung der Hauptverhandlung gestärkt werden kann
Hauptverhandlung
- Schaffung eines fakultativen gerichtlichen Erörterungstermins mit den Verfahrensbeteiligten zur Vorbereitung der Hauptverhandlung bei umfangreichen Strafverfahren
- Einführung der Möglichkeit einer Eröffnungserklärung der Verteidigung nach Verlesung der Anklageschrift
- Regelung einer gerichtlichen Hinweispflicht bei Änderung der für die rechtliche Bewertung erheblichen tatsächlichen Umstände oder bei beabsichtigten Abweichen von einer von ihm offengelegten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Beweislage
- Einführung einer fakultativen audiovisuelle Dokumentation einzelner Vernehmungen vor dem Amtsgericht sowie Prüfung der Einführung einer obligatorischen audiovisuellen Dokumentation der gesamten erstinstanzlicher Hauptverhandlungen vor dem LG und OLG unter der Bedingung, dass mit deren Einführung keine Erweiterung der Revisionsmöglichkeiten verbunden ist
- Ermöglichung des Vorführens einer audiovisuell aufgezeichneten richterlichen Zeugenvernehmung bei erstmaliger Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts in der Hauptverhandlung sowie einer richterlichen Beschuldigtenvernehmung zum Zweck der Beweisaufnahme über ein Geständnis
- Einführung einer gerichtlichen Möglichkeit zur Fristsetzung für nach Schluss der Beweisaufnahme eingereichte Beweisanträge mit der Möglichkeit der Ablehnung bei nicht genügend entschuldigter Fristversäumnis
- Schaffung der Möglichkeit zur ausnahmsweisen Bildung von Nebenkläger-gruppen unter Beiordnung eines Gruppenrechtsbeistands bei Umfangsverfahren durch das Gericht
Rechtsmittelverfahren
- Einführung der Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung nach § 153a Absatz 2 StPO auch im Revisionsverfahren
- Keine Änderungen im Wiederaufnahmerecht
- Keine Erweiterung der Möglichkeiten zur Entscheidung über einer Revision im Beschlussverfahren ohne Revisionshauptverhandlung zu entscheiden
Hier finden Sie den ganzen Bericht als PDF: