Deutsche Behörden müssen einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilten Führerschein nicht unbedingt anerkennen. Der EuGH hat am 13. Oktober 2011 in der Rechtssache C-224/10 entschieden, dass die Mitgliedstaaten Fahrerlaubnisse, die in anderen EU-Staaten erteilt worden sind, unter bestimmten Voraussetzungen die Anerkennung verweigern können. Das Urteil erging aufgrund einer Vorlage des Landgerichts Baden-Baden zur Führerscheinrichtlinie 91/439/EWG.
Im konkreten Fall war einem Angeklagten seine in Deutschland erteilte Fahrerlaubnis
durch ein deutsches Gericht entzogen worden. Kurz zuvor, als sich der deutsche Führerschein schon in polizeilicher Verwahrung befand, hatte eine tschechische Behörde dem Angeklagten aber bereits eine neue tschechische Fahrerlaubnis und einen entsprechenden Führerschein erteilt. Nach Ablauf der Sperrfrist erweiterte die tschechische Behörde die Fahrerlaubnis auf die Klasse D. Der Angeklagte wurde sodann in Deutschland beim Führen eines Fahrzeuges der Klasse D von der Polizei angetroffen. Das vorlegende Gericht hatte nunmehr Zweifel, ob der Angeklagte wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis angeklagt werden konnte. Der EuGH befand jetzt, dass die polizeiliche Verwahrung bereits eine Aussetzung der Fahrerlaubnis darstellte, so dass keine Anerkennungspflicht für die tschechische Fahrerlaubnis besteht. Da die Fahrerlaubnis der Klasse D weiterhin zwingende das Vorhandensein einer gültigen Fahrerlaubnis der Klasse B voraussetze, bräuchten die deutschen Behörden auch diese nicht anzuerkennen.
Hier das Urteil des EuGH im deutschen Volltext:
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
„Richtlinie 91/439/EWG – Gegenseitige Anerkennung der
Führerscheine – Entzug der vom Wohnsitzmitgliedstaat erteilten inländischen
Fahrerlaubnis und Ausstellung eines Führerscheins für Fahrzeuge der Klassen B
und D durch einen anderen Mitgliedstaat – Ablehnung der Anerkennung durch den
Wohnsitzmitgliedstaat – Notwendigkeit, bei Ausstellung eines Führerscheins für
Fahrzeuge der Klasse D im Besitz eines gültigen Führerscheins für Fahrzeuge der
Klasse B zu sein“
In der Rechtssache C‑224/10
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267
AEUV, eingereicht vom Landgericht Baden-Baden (Deutschland) mit Entscheidung vom
6. Mai 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Mai 2010, in dem Strafverfahren
gegen
Leo Apelt
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha
Rodrigues sowie der Richter U. Lõhmus, A. Rosas (Berichterstatter), A. Ó Caoimh
und A. Arabadjiev,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von Herrn Apelt, vertreten durch Rechtsanwalt
B. Stege,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch
G. Braun als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in
der Sitzung vom 30. Juni 2011
folgendes
Urteil
1 Das
Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 1, 5 Abs. 1
Buchst. a, 7 Abs. 1 Buchst. b sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des
Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl. L 237, S. 1) in der durch
die Richtlinie 2000/56/EG der Kommission vom 14. September 2000 (ABl. L 237,
S. 45) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/439) sowie des Art. 11
Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl. L 403, S. 18).
2 Dieses Ersuchen ergeht
im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Apelt wegen vorsätzlichen Fahrens
ohne Fahrerlaubnis.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Der erste
Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 lautet:
„Um einen Beitrag zur gemeinsamen Verkehrspolitik zu
leisten, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern und die Freizügigkeit
von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem
niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben, ist ein
einzelstaatlicher Führerschein nach EG-Muster wünschenswert, den die
Mitgliedstaaten gegenseitig anerkennen und der nicht umgetauscht werden muss.“
4 Gemäß dem vierten
Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 sind aus Gründen der Sicherheit im
Straßenverkehr Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins
festzulegen.
5 In Art. 1 Abs. 1 und 2
der Richtlinie 91/439 heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen den
einzelstaatlichen Führerschein gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie nach dem
EG-Muster in Anhang I oder Ia aus. …
(2) Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten
Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.“
6 Art. 3 der Richtlinie
91/439 bestimmt:
„(1) Der Führerschein nach Artikel 1 berechtigt zum
Führen von Fahrzeugen folgender Klassen:
…
Klasse B:
– Kraftwagen mit einer zulässigen Gesamtmasse von
nicht mehr als 3 500 kg und mit nicht mehr als acht Sitzplätzen außer dem
Führersitz; …
…
Klasse D:
– Kraftwagen zur Personenbeförderung mit mehr als
acht Sitzplätzen außer dem Führersitz; …
…
(2) Innerhalb der Klassen A, B, B + E, C, C + E, D
und D + E kann für das Führen von Fahrzeugen folgender Unterklassen ein
besonderer Führerschein ausgestellt werden …“
7 Art. 5 Abs. 1
Buchst. a der Richtlinie 91/439 lautet:
„Die Ausstellung des Führerscheins unterliegt folgenden
Bedingungen:
a) ein Führerschein für die Klassen C und D
kann nur Fahrzeugführern ausgestellt werden, die bereits zum Führen von
Fahrzeugen der Klasse B berechtigt sind“.
8 Art. 7 Abs. 1 der
Richtlinie 91/439 bestimmt:
„Die Ausstellung des Führerscheins hängt außerdem ab
…
b) vom Vorhandensein eines ordentlichen
Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student – während eines
Mindestzeitraums von sechs Monaten – im Hoheitsgebiet des ausstellenden
Mitgliedstaats.“
9 Nach Art. 7 Abs. 5 der
Richtlinie 91/439 kann jede Person nur Inhaber eines einzigen Führerscheins
sein.
10 Art. 8 Abs. 2 und 4
Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439 sieht vor:
„(2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und
polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des
ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat
ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über
Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und
zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.
…
(4) Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die
Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat
einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in
Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde.“
11 Nach Anhang II
Abschnitt I Titel A Punkt 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 kann jeder Bewerber um
eine Fahrerlaubnis, der schon die Prüfung der Kenntnisse für eine Fahrerlaubnis
in einer anderen Klasse erfolgreich abgelegt hat, von den unter den Punkten 2
bis 4 vorgesehenen gemeinsamen Bestimmungen befreit werden.
12 In Anhang II Abschnitt
I Titel A Punkt 2 wird der Inhalt der Prüfung der Kenntnisse für alle
Fahrzeugklassen festgelegt. In Punkt 3 sind besondere Bestimmungen für die
Klassen A und A1 vorgesehen und in Punkt 4 besondere Bestimmungen für die
Klassen C, C + E, D, D + E, C1, C1 + E, D1 und D1 + E.
13 Art. 11 Abs. 1 und 4
der Richtlinie 2006/126 bestimmt:
„1. Hat der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat
ausgestellten gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem
anderen Mitgliedstaat begründet, so kann er einen Antrag auf Umtausch seines
Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen. Es ist Sache des
umtauschenden Mitgliedstaats, zu prüfen, für welche Fahrzeugklasse der
vorgelegte Führerschein tatsächlich noch gültig ist.
…
4. Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, einem Bewerber,
dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt
oder entzogen wurde, einen Führerschein auszustellen.
Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit
eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person
ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten
Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist.
Ein Mitgliedstaat kann es ferner ablehnen, einem
Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat aufgehoben wurde,
einen Führerschein auszustellen.“
Nationales Recht
14 § 28 Abs. 1 und 4 der
Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr
(Fahrerlaubnis-Verordnung) vom 18. August 1998 (BGBl. 1998 I S. 2214) in der für
das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung lautet:
„(1) Inhaber einer gültigen EU- oder
EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz … in der Bundesrepublik
Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen
2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. …
…
(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für
Inhaber einer EU‑ oder EWR-Fahrerlaubnis,
…
3. denen die Fahrerlaubnis im Inland
vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder
bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist …“
15 § 21 Abs. 1 Nr. 1 des
Straßenverkehrsgesetzes in der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung
sieht vor:
„(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit
Geldstrafe wird bestraft, wer
1. ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er die
dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat oder ihm das Führen des Fahrzeugs
nach § 44 des Strafgesetzbuchs oder nach § 25 dieses Gesetzes verboten ist …“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
16 Herrn Apelt, der
deutscher Staatsangehöriger ist, wurde am 14. Dezember 1998 von den zuständigen
Behörden des Landkreises Verden (Deutschland) ein Führerschein der Klassen 1a,
1b, 3, 4 und 5 ausgestellt.
17 Am 23. Januar 2006
wurde Herr Apelt in Deutschland beim Führen eines Kraftfahrzeugs in
alkoholisiertem Zustand angetroffen. Am Tag darauf wurde sein Führerschein von
den deutschen Behörden in polizeiliche Verwahrung genommen.
18 Am 31. Mai 2006 wurde
Herr Apelt vom Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck wegen Trunkenheit im Verkehr zu
einer Geldstrafe verurteilt. Sein Führerschein wurde eingezogen, ihm wurde die
Fahrerlaubnis entzogen und gegen ihn eine Sperre für die Neuerteilung einer
Fahrerlaubnis verhängt, die am 29. November 2006 ablief.
19 Am 1. März 2006,
d. h., bevor sein Führerschein in Deutschland gerichtlich eingezogen wurde, aber
nachdem dieser von den deutschen Behörden in polizeiliche Verwahrung genommen
worden war, wurde Herrn Apelt von den zuständigen tschechischen Behörden eine
Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse B erteilt und am selben Tag ein
entsprechender Führerschein ausgestellt. Der in diesem Führerschein eingetragene
Wohnsitz befindet sich in Deutschland.
20 Am 30. April 2007,
also nach Ablauf der vom Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck gegen ihn verhängten
Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, wurde Herrn Apelt von den
tschechischen Behörden eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse D erteilt. Am
selben Tag wurde ihm ein entsprechender Führerschein ausgestellt, in dem ein
Wohnsitz in der Tschechischen Republik und das Datum der Ausstellung eines
Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse B, der 1. März 2006, eingetragen ist.
21 Am 11. Juli 2009 wurde
Herr Apelt im Gebiet der Gemeinde Achern (Deutschland) als Führer eines
Kraftomnibusses angetroffen. Die Staatsanwaltschaft beantragte beim Amtsgericht
Achern den Erlass eines Strafbefehls gegen Herrn Apelt wegen vorsätzlichen
Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Das Amtsgericht Achern lehnte diesen Antrag mit der
Begründung ab, dass die nach Ablauf der Sperrfrist von den tschechischen
Behörden für Fahrzeuge der Klasse D erteilte Fahrerlaubnis in Deutschland gültig
sei.
22 Die Staatsanwaltschaft
legte gegen den entsprechenden Beschluss sofortige Beschwerde beim Landgericht
Baden-Baden ein und trug dazu vor, dass die für Deutschland unwirksame
Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse B notwendiger Bestandteil der
Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse D sei.
23 Unter diesen Umständen
hat das Landgericht Baden-Baden beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem
Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Darf ein Mitgliedstaat – unter
Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 91/439, wonach ein
Führerschein für die Klasse D nur Fahrzeugführern ausgestellt werden darf, die
bereits zum Führen von Fahrzeugen der Klasse B berechtigt sind – in
Übereinstimmung mit Art. 1 und Art. 8 Abs. 2 und 4 derselben Richtlinie
ablehnen, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten,
die Fahrerlaubnisklassen B und D umfassenden Führerscheins – insbesondere
hinsichtlich der Klasse D – anzuerkennen, wenn dem Inhaber dieses Führerscheins
die Fahrerlaubnis der Klasse B vor einer im erstgenannten Mitgliedstaat
erfolgten gerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis erteilt worden war,
diejenige der Klasse D jedoch erst nach der gerichtlichen Entziehung und nach
Ablauf der zugleich mit dieser verhängten Sperrfrist für die Neuerteilung?
2. Für den Fall, dass die erste Frage
verneint werden sollte:
Darf der erstgenannte Mitgliedstaat die Anerkennung des
genannten Führerscheins – insbesondere hinsichtlich der Fahrerlaubnisklasse D –
in Anwendung von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126, wonach ein
Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnt, der
von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren
Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Führerscheins entzogen worden
ist, ablehnen, wenn die Fahrerlaubnis der Klasse B am 1. März 2006 und diejenige
der Klasse D am 30. April 2007 erteilt wurde und der Führerschein am zuletzt
genannten Tag ausgestellt wurde?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
24 Mit seiner ersten
Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Mitgliedstaat – unter
Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 91/439, wonach ein
Führerschein für die Klasse D nur Fahrzeugführern ausgestellt werden darf, die
bereits zum Führen von Fahrzeugen der Klasse B berechtigt sind – es in
Übereinstimmung mit den Art. 1 und 8 Abs. 2 und 4 dieser Richtlinie ablehnen
darf, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten, die
Fahrerlaubnisklassen B und D umfassenden Führerscheins – insbesondere
hinsichtlich der Klasse D – anzuerkennen, wenn dem Inhaber dieses Führerscheins
die Fahrerlaubnis der Klasse B vor einer im erstgenannten Mitgliedstaat
erfolgten gerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis erteilt worden war,
diejenige der Klasse D jedoch erst nach der gerichtlichen Entziehung und nach
Ablauf der zugleich mit dieser verhängten Sperrfrist für die Neuerteilung.
25 Zu ergänzen ist, dass
das vorlegende Gericht darlegt, dass der Führerschein für Fahrzeuge der Klasse B
von den tschechischen Behörden ausgestellt wurde, bevor Herrn Apelt in
Deutschland die Fahrerlaubnis gerichtlich entzogen wurde, aber nachdem sein
deutscher Führerschein von den deutschen Behörden in polizeiliche Verwahrung
genommen worden war, und dass sowohl diese letztgenannte Maßnahme als auch die
gerichtliche Entziehung aus Gründen gerechtfertigt sind, die zum Zeitpunkt der
Ausstellung des Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse B durch die tschechischen
Behörden vorlagen. Außerdem weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sich
der in diesem Führerschein eingetragene Wohnsitz von Herrn Apelt in Deutschland
befindet.
26 Nach Art. 7 Abs. 1
Buchst. b der Richtlinie 91/439 hängt die Ausstellung des Führerscheins indessen
u. a. vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der
Eigenschaft als Student – während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten – im
Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats ab.
27 Um dem vorlegenden
Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist die Vorlagefrage daher so zu
verstehen, dass damit gefragt wird, ob die Art. 1 Abs. 2, 5 Abs. 1 Buchst. a, 7
Abs. 1 Buchst. b sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 es einem
Aufnahmemitgliedstaat verwehren, die Anerkennung eines von einem anderen
Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins für Fahrzeuge der Klassen B und D
abzulehnen, wenn erstens dem Inhaber des entsprechenden Führerscheins eine
Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse B unter Missachtung der den ordentlichen
Wohnsitz betreffenden Voraussetzung und zu einem Zeitpunkt ausgestellt wurde,
nachdem sein von dem erstgenannten Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein in
diesem Mitgliedstaat in polizeiliche Verwahrung genommen worden war, aber bevor
seine Fahrerlaubnis in diesem erstgenannten Mitgliedstaat gerichtlich entzogen
wurde, und zweitens dem Inhaber des Führerscheins eine Fahrerlaubnis für
Fahrzeuge der Klasse D nach der gerichtlichen Entziehung und nach Ablauf der
Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis erteilt wurde.
28 Nach gefestigter
Rechtsprechung sieht Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 die gegenseitige
Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede
Formalität vor. Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klare und
genaue Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die
Maßnahmen lässt, die zu ergreifen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen
(Urteil vom 19. Mai 2011, Grasser, C‑184/10, noch nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Es ist Aufgabe des
Ausstellungsmitgliedstaats, zu prüfen, ob die im Unionsrecht aufgestellten
Mindestvoraussetzungen, insbesondere diejenigen des Art. 7 Abs. 1 der genannten
Richtlinie hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob
somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist (Urteil Grasser,
Randnr. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).
30 Wenn die Behörden
eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie
91/439 ausgestellt haben, sind die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt, die
Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen
nachzuprüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten
Führerscheins ist nämlich als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber dieses
Führerscheins am Tag der Erteilung des Führerscheins diese Voraussetzungen
erfüllte (Urteil Grasser, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).
31 Aus dem Urteil vom 20.
November 2008, Weber (C‑1/07, Slg. 2008, I‑8571), geht indessen hervor, dass
Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 es
einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung
einer Fahrberechtigung abzulehnen, die sich aus einem in einem anderen
Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, auf dessen Inhaber im
erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis, wenn
auch erst nach der Erteilung des fraglichen Führerscheins, angewendet wurde,
sofern dieser Führerschein während der Dauer der Gültigkeit einer Maßnahme der
Aussetzung der im erstgenannten Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis
ausgestellt wurde und sowohl diese Maßnahme als auch der Entzug aus zum
Zeitpunkt der Ausstellung des zweiten Führerscheins bereits vorliegenden Gründen
gerechtfertigt sind.
32 Im Ausgangsverfahren
wurde die Fahrerlaubnis gerichtlich entzogen, nachdem Herrn Apelt von den
tschechischen Behörden ein Führerschein für Fahrzeuge der Klasse B ausgestellt
worden war. Allerdings wurde dieser Führerschein ausgestellt, während sich der
Herrn Apelt in Deutschland ausgestellte Führerschein dort in polizeilicher
Verwahrung befand.
33 Die polizeiliche
Verwahrung kann, wie das vorlegende Gericht darlegt, als Aussetzung im Sinne von
Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 gewertet werden. Diese Richtlinie
verwehrt es den deutschen Behörden demnach nicht, es abzulehnen, in ihrem
Hoheitsgebiet den Herrn Apelt von den tschechischen Behörden für Fahrzeuge der
Klasse B ausgestellten Führerschein anzuerkennen, da sowohl die polizeiliche
Verwahrung durch die deutschen Behörden als auch die gerichtliche Entziehung aus
Gründen gerechtfertigt sind, die zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses
Führerscheins vorlagen.
34 In jedem Fall geht aus
der Vorlageentscheidung hervor, dass sich der in diesem Führerschein
ausgewiesene Wohnsitz in Deutschland befindet. Die Nichtbeachtung der den
ordentlichen Wohnsitz betreffenden Voraussetzung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b
der Richtlinie 91/439 kann es bereits für sich genommen rechtfertigen, dass ein
Mitgliedstaat die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat
ausgestellten Führerscheins ablehnt.
35 Aus der Rechtsprechung
des Gerichtshofs geht nämlich hervor, dass die Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 Buchst. b
sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 es einem Aufnahmemitgliedstaat nicht
verwehren, es abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet den von einem anderen
Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein anzuerkennen, wenn aufgrund von Angaben
in diesem Führerschein feststeht, dass die den ordentlichen Wohnsitz betreffende
Voraussetzung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie nicht beachtet
wurde (Urteil Grasser, Randnr. 33).
36 Folglich waren die
deutschen Behörden berechtigt, die Anerkennung eines Führerscheins, wie er Herrn
Apelt von den tschechischen Behörden für Fahrzeuge der Klasse B ausgestellt
wurde, abzulehnen.
37 Was die Frage
anbelangt, ob ein Mitgliedstaat es ablehnen kann, einen Führerschein wie den
Herrn Apelt von den tschechischen Behörden für Fahrzeuge der Klasse D
ausgestellten anzuerkennen, ist darauf hinzuweisen, dass aus Art. 5 Abs. 1
Buchst. a der Richtlinie 91/439 hervorgeht, dass ein Führerschein für Fahrzeuge
der Klasse D nur Fahrzeugführern ausgestellt werden kann, die bereits zum Führen
von Fahrzeugen der Klasse B berechtigt sind.
38 Die Kommission macht
geltend, da für den Erhalt eines Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse D
strengere Anforderungen gälten als für den Erhalt eines Führerscheins für
Fahrzeuge der Klasse B und da Herrn Apelt der Führerschein für Fahrzeuge der
Klasse D nach Ablauf der Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis
ausgestellt worden sei, lasse das in dem Führerschein für Fahrzeuge der Klasse D
eingetragene Datum der Ausstellung des Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse B
die durch die Richtlinie 91/439 vorgesehene Verpflichtung zur gegenseitigen
Anerkennung der Führerscheine unberührt.
39 Diesem Vorbringen kann
nicht gefolgt werden.
40 Nach Art. 3 Abs. 1 der
Richtlinie 91/439 kann nämlich ein nach ihrem Art. 1 ausgestellter Führerschein
zum Führen von Fahrzeugen verschiedener Klassen berechtigen. Innerhalb dieser
Klassen kann nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie für das Führen von Fahrzeugen
verschiedener Unterklassen ein besonderer Führerschein ausgestellt werden.
41 Entsprechend
berechtigt ein Führerschein für Fahrzeuge der Klasse B zum Führen von Kraftwagen
mit einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 3 500 kg und mit nicht mehr
als acht Sitzplätzen außer dem Führersitz. Demgegenüber berechtigt ein
Führerschein für Fahrzeuge der Klasse D zum Führen von Kraftwagen zur
Personenbeförderung mit mehr als acht Sitzplätzen außer dem Führersitz.
42 Wie der Generalanwalt
in Nr. 33 seiner Schlussanträge darlegt, ermöglicht es diese Einteilung in
Klassen und Unterklassen, die Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung eines
Führerscheins auf die einzelne Klasse bzw. Unterklasse abzustimmen.
43 Genauer gesagt sieht
die Richtlinie 91/439 in ihren Anhängen II und III einen gemeinsamen Grundstock
an Mindestvoraussetzungen für alle Führerscheinklassen vor. Die Erteilung eines
jeden Führerscheins hängt von der Erfüllung dieser Mindestvoraussetzungen ab.
Dabei geht es, wie der Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge darlegt,
beispielsweise darum, das Fahrzeug zu beherrschen, um keine gefährlichen
Verkehrslagen zu verursachen und richtig zu reagieren, wenn solche Lagen
eintreten, oder um die Kenntnis des Sicherheitsabstands zu anderen Fahrzeugen,
des Bremswegs und der Bodenhaftung des betreffenden Fahrzeugs.
44 Über diese
Mindestvoraussetzungen hinaus gibt es für jede Klasse und insbesondere die
Klasse D besondere Prüfungen.
45 Insoweit ergibt sich
aus Anhang II Abschnitt I Titel A Punkt 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439, dass
jeder Bewerber um eine Fahrerlaubnis, der schon die Prüfung der Kenntnisse für
eine Fahrerlaubnis in einer anderen Klasse erfolgreich abgelegt hat, von den
Prüfungen zur Kontrolle der Kenntnisse insbesondere der
Straßenverkehrsvorschriften befreit werden kann.
46 Sowohl aus dem
Wortlaut als auch aus der Systematik der Richtlinie 91/439 ergibt sich somit,
dass der Führerschein für Fahrzeuge der Klasse B eine unabdingbare Grundlage für
den Erhalt eines Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse D darstellt.
47 Daher stünde es im
Widerspruch zu dem in den Erwägungsgründen 1 und 4 der Richtlinie 91/439
genannten Ziel der Sicherheit im Straßenverkehr, wenn es einem
Aufnahmemitgliedstaat nicht erlaubt wäre, die Anerkennung eines Führerscheins
für Fahrzeuge der Klasse D abzulehnen, der auf der Grundlage eines Führerscheins
für Fahrzeuge der Klasse B ausgestellt wurde, der mit einer Unregelmäßigkeit
behaftet ist, die die Nichtanerkennung des letztgenannten Führerscheins
rechtfertigt.
48 Folglich ist
festzustellen, dass ein Mitgliedstaat, wenn er es auf der Grundlage der
Richtlinie 91/439 ablehnen kann, die Gültigkeit eines von den Behörden eines
anderen Mitgliedstaats ausgestellten Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse B
anzuerkennen, ebenfalls berechtigt ist, die Gültigkeit eines Führerscheins für
Fahrzeuge der Klasse D, der auf der Grundlage des entsprechenden Führerscheins
für Fahrzeuge der Klasse B ausgestellt wurde, nicht anzuerkennen.
49 Da der Führerschein
für Fahrzeuge der Klasse B, der Herrn Apelt von den tschechischen Behörden
ausgestellt wurde, mit Unregelmäßigkeiten behaftet ist, die seine
Nichtanerkennung rechtfertigen, verwehren es die Art. 1 Abs. 2, 5 Abs. 1
Buchst. a, 7 Abs. 1 Buchst. b sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 den
deutschen Behörden nicht, auch die Anerkennung des Führerscheins für Fahrzeuge
der Klasse D abzulehnen, der Herrn Apelt von den tschechischen Behörden auf der
Grundlage seines Führerscheins für die Klasse B ausgestellt wurde.
50 Nach alledem ist auf
die erste Frage zu antworten, dass die Art. 1 Abs. 2, 5 Abs. 1 Buchst. a, 7
Abs. 1 Buchst. b sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 es einem
Aufnahmemitgliedstaat nicht verwehren, die Anerkennung eines von einem anderen
Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins für Fahrzeuge der Klassen B und D
abzulehnen, wenn erstens dem Inhaber des entsprechenden Führerscheins eine
Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse B unter Missachtung der den ordentlichen
Wohnsitz betreffenden Voraussetzung und zu einem Zeitpunkt ausgestellt wurde,
nachdem sein von dem erstgenannten Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein in
diesem Mitgliedstaat in polizeiliche Verwahrung genommen worden war, aber bevor
seine Fahrerlaubnis in diesem erstgenannten Mitgliedstaat gerichtlich entzogen
wurde, und zweitens dem Inhaber des Führerscheins eine Fahrerlaubnis für
Fahrzeuge der Klasse D nach der gerichtlichen Entziehung und nach Ablauf der
Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis erteilt wurde.
Zur zweiten Frage
51 Da sich der
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens in den Jahren 2006 und 2007 ereignet hat,
also bevor Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 anwendbar war, ist die zweite
Frage nicht zu beantworten.
Kosten
52 Für die Beteiligten
des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht
anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem
Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof
(Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Die Art. 1 Abs. 2, 5 Abs. 1 Buchst. a, 7 Abs. 1
Buchst. b sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli
1991 über den Führerschein in der durch die Richtlinie 2000/56/EG der Kommission
vom 14. September 2000 geänderten Fassung verwehren es einem
Aufnahmemitgliedstaat nicht, die Anerkennung eines von einem anderen
Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins für Fahrzeuge der Klassen B und D
abzulehnen, wenn erstens dem Inhaber des entsprechenden Führerscheins eine
Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse B unter Missachtung der den ordentlichen
Wohnsitz betreffenden Voraussetzung und zu einem Zeitpunkt ausgestellt wurde,
nachdem sein von dem erstgenannten Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein in
diesem Mitgliedstaat in polizeiliche Verwahrung genommen worden war, aber bevor
seine Fahrerlaubnis in diesem erstgenannten Mitgliedstaat gerichtlich entzogen
wurde, und zweitens dem Inhaber des Führerscheins eine Fahrerlaubnis für
Fahrzeuge der Klasse D nach der gerichtlichen Entziehung und nach Ablauf der
Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis erteilt wurde.
Unterschriften