Der EuGH hat sein Urteil zu der Frage verkündet, ob ein Einreiseverbot unbefristet verhängt werden darf und welche strafrechtlichen Folgen an einen Verstoß gegen ein solches Verbot geknüpft werden dürfen.
Das AG Laufen (Deutschland) hat dem EuGH im Rahmen von Strafverfahren, die gegen Herrn Filev, einen Staatsangehörigen der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien, und Herrn Osmani, einen Staatsangehörigen der Republik Serbien, eingeleitet wurden, nachdem diese mehr als fünf Jahre nach ihrer Ausweisung aus Deutschland unter Verstoß gegen die unbefristeten Einreiseverbote, mit denen die gegen sie erlassenen Ausweisungsbescheide einhergingen, nach Deutschland eingereist waren, eine Reihe von Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 2008/115 zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Nach Einstellung des Verfahrens über seinen Asylantrag wurde Herr Filev durch Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 29.10.1992 aufgefordert, das deutsche Hoheitsgebiet zu verlassen. In den Jahren 1993 und 1995 wurde er in die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien abgeschoben; die Wirkung der Abschiebungen war unbefristet. Am 28.04.2012 reiste Herr Filev erneut nach Deutschland ein und wurde dort einer Polizeikontrolle unterzogen. Diese Kontrolle ergab, dass er 1992 ausgewiesen worden war. Daraufhin wurde ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet, und er wurde in Untersuchungshaft genommen. Am 03.05.2012 beantragte die Anklagebehörde in der Hauptverhandlung vor dem vorlegenden Gericht, Herrn Filev wegen Verstoßes gegen § 95 Abs. 2 Nr. 1a und b AufenthG aufgrund unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro zu verurteilen.
In Bezug auf Herrn Osmani erging am 19.11.1999 ein Ausweisungsbescheid der Stadt Stuttgart (Deutschland) gemäß den Vorschriften des damals gültigen Ausländergesetzes, das eine Ausweisung bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz vorsah. Die Wirkung der Ausweisung war unbefristet. Am 10.06.2003 wurde Herr Osmani wiederum wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Nachdem er einen Teil dieser Strafe verbüßt hatte, wurde er am 30.06.2004 entlassen und unbefristet abgeschoben. Gemäß § 456a StPO ordnete die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe von 474 Tagen für den Fall an, dass Herr Osmani erneut nach Deutschland einreisen würde. Am 29.04.2012 reiste Herr Osmani erneut nach Deutschland ein und wurde einer Polizeikontrolle unterzogen, bei der festgestellt wurde, dass gegen ihn ein Ausweisungsbescheid ergangen war. Daraufhin wurde ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet. In der Hauptverhandlung vor dem vorlegenden Gericht am 03.05.2012 beantragte die Anklagebehörde, Herrn Osmani wegen Verstößen gegen § 95 Abs. 2 Nr. 1a und b AufenthaltG zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung zu verurteilen. Zum Zeitpunkt der Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens verbüßte Herr Osmani den Rest der Freiheitsstrafe, zu der er 2003 verurteilt worden war.
Mit seinem heutigen Urteil hat der EuGH die Vorlagefragen wie folgt beantwortet:
1. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift wie § 11 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet entgegensteht, die die Befristung eines Einreiseverbots davon abhängig macht, dass der betreffende Drittstaatsangehörige einen Antrag auf eine derartige Befristung stellt.
2. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 ist dahin auszulegen, dass er es verbietet, einen Verstoß gegen ein Verbot, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates einzureisen und sich dort aufzuhalten, das mehr als fünf Jahre vor dem Zeitpunkt verhängt wurde, zu dem der betreffende Drittstaatsangehörige erneut in dieses Hoheitsgebiet eingereist oder die innerstaatliche Regelung zur Umsetzung dieser Richtlinie in Kraft getreten ist, strafrechtlich zu ahnden, es sei denn, dieser Drittstaatsangehörige stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar.
3. Die Richtlinie 2008/115 ist dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaates entgegensteht, wonach eine Ausweisung oder Abschiebung, die mehr als fünf Jahre vor dem Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem diese Richtlinie hätte umgesetzt werden müssen, und dem Zeitpunkt, zu dem sie tatsächlich umgesetzt wurde, erfolgte, später erneut als Grundlage für eine strafrechtliche Verfolgung dienen kann, wenn diese Maßnahme im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der genannten Richtlinie aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion vorgenommen wurde und der betreffende Mitgliedstaat von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat.