Versicherungsrecht Rosenheim: BGH: Rücktrittsrecht des Versicherers bei arglistiger Verletzung der Anzeigepflicht trotz fehlerhafter Belehrung
Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 VVG arglistig, so kann der Versicherer nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs auch dann vom Vertrag zurücktreten, wenn er den Versicherungsnehmer nicht entsprechend den Anforderungen des § 19 Abs. 5 VVG belehrt hat (BGH, Urteil vom 12.03.2014 – IV ZR 306/13 (OLG Köln), BeckRS 2014, 06343 – Zitat: Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 07/2014 vom 03.04.2014)
Der Kläger begehrte die Feststellung des Fortbestands einer privaten Krankenversicherung. Nach vorausgegangenem Abschluss eines Maklervertrags mit einem Versicherungsvermittler beantragte er 2010 bei der Beklagten den Abschluss einer Kranken- und Pflegeversicherung. Die Frage nach Krankheiten und Beschwerden in den letzten drei Jahren beantwortete der Kläger unvollständig, die Frage nach psychotherapeutischen Behandlungen gar nicht. In der Folge erhielt die Beklagte ein weiteres Antragsformular, in dem diese Fragen mit «nein» beantwortet wurden. Die Beklagte stellte darauf einen Versicherungsschein aus. Im Jahr 2011 erklärte die Beklagte den Rücktritt vom Vertrag, weil der Kläger ihr verschiedene erhebliche Erkrankungen verschwiegen habe. 2012 erklärte sie noch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.
Die Klage hatte in I. und II. Instanz keinen Erfolg, wobei das OLG die Anfechtung des Versicherers mangels Wahrung der Anfechtungsfrist des § 124 Abs. 1 BGB als unwirksam, den Rücktritt jedoch als wirksam ansah. Nur der Rücktritt ist noch Gegenstand des Revisionsverfahrens.
Die Revision des Klägers blieb erfolglos. Das Gericht führte hierzu aus:
Der beklagte Versicherer sei gemäß § 19 Abs. 1 und 2 VVG zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag berechtigt gewesen, so der BGH. Der arglistig handelnde Versicherungsnehmer könne sich nicht mit Erfolg auf eine Verletzung der Pflicht des Versicherers berufen, ihn über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung zu belehren. Der Versicherer könne im Fall einer arglistigen Täuschung durch den Versicherungsnehmer auch dann vom Vertrag zurücktreten, wenn er den Versicherungsnehmer im Antragsformular entgegen den Anforderungen des § 19 Abs. 5 VVG nicht oder nicht ausreichend belehrt habe. Entscheidend hierfür sei, dass die Belehrungspflicht zum Schutz des Versicherungsnehmers angeordnet sei (s. BT-Drucks. 16/3945 S. 65), der arglistig handelnde Versicherungsnehmer aber nicht gleichermaßen schutzwürdig sei (z.B. BGH, Urteil vom 12.03.1976 – IV ZR 79/73, VersR 1976, 383). Dies ergebe sich auch aus gesetzessystematischen Erwägungen. Die in § 19 Abs. 5 VVG geregelte Belehrungspflicht des Versicherers gelte nur für die Fälle des § 19 Abs. 2 bis 4 VVG. Im Fall einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 22 VVG in Verbindung mit § 123 BGB sei eine solche Belehrung im Gesetz nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber habe auch in § 21 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2, 28 Abs. 3 Satz 2 VVG den arglistig handelnden Versicherungsnehmer als weniger schutzwürdig erachtet. Vergleichbar sei auch die Regelung des § 28 Abs. 4 VVG (s. BT-Drucks. 16/3945 S. 69 zu Abs. 4; OLG Köln, Urteil vom 03.05.2013 – 20 U 224/12, BeckRS 2013, 09363, Leitsätze in FD-VersR 2013, 347085). Der Verzicht auf das Belehrungserfordernis bei Arglist entspreche auch der früheren Relevanzrechtsprechung zu § 6 Abs. 3 VVG a. F. (z.B. BGH, a.a.O.). Der Versicherungsnehmer könne sich auch nicht darauf berufen, dass er gegenüber dem von ihm eingeschalteten Versicherungsmakler wahrheitsgemäße Angaben gemacht habe. Arglistiges Verhalten seines Maklers müsse sich der Versicherungsnehmer nach ständiger Rechtsprechung gemäß § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Ein Ausnahmefall, in dem eine derartige Zurechnung nicht zu erfolgen habe, sei nicht ersichtlich. Insbesondere sei der Makler nicht dadurch, dass der Versicherer beim Makler eine Nachfrage zu dem ersten Versicherungsantrag geschickt habe, nun im Interessenkreis des Versicherers tätig geworden.
Die vom BGH nun höchstrichterlich entschiedene Frage war bislang umstritten. Die überwiegende Auffassung hat die jetzt vom BGH bestätigte Linie vertreten (z.B. Prölss/Martin VVG 28 Aufl. § 19 Rdn. 75; Römer/Langheid VVG 4. Aufl. § 19 Rdn. 118, MüKo-VVG § 19 Rdn. 157). Die gegenteilige Auffassung wurde z. B. vertreten von Knappmann in: Beckmann/Matuschke-Beckmann, VersR-Handbuch 2. Aufl. § 14 Rdn. 12).