Disziplinarrecht für Beamte:
Ihr Rechtsanwalt für Disziplinarrecht im Disziplinarverfahren
Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte der Gleichstellungsbeauftragten im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren – Wahrheitspflicht im Disziplinarverfahren
BVerwG 2 C 62.11 – Urteil vom 28. Februar 2013
Die Erhebung der Disziplinarklage unterfällt nur dann dem Mitwirkungsrecht der Gleichstellungsbeauftragten nach dem Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG), wenn durch die Klageerhebung im Einzelfall ihr gesetzlicher Aufgabenkreis (§ 19 Abs. 1 Satz 2 BGleiG) berührt ist; das sind die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit sowie der Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Die Befugnisse der Gleichstellungsbeauftragten sind im BGleiG differenziert ausgestaltet. Das Gesetz unterscheidet zwischen einem Beteiligungsrecht der Gleichstellungsbeauftragten in Form von frühzeitiger Unterrichtung und aktiver Teilnahme an allen Entscheidungsprozessen in näher beschriebenen Angelegenheiten einerseits und der Mitwirkung bei bestimmten Maßnahmen andererseits. Das erstgenannte Recht ist im Verhältnis zur Mitwirkung zeitlich und sachlich vorverlagert. Eine mitwirkungspflichtige Maßnahme im Disziplinarverfahren liegt nur vor, wenn die Leitung der Dienststelle sich entschlossen hat, Disziplinarklage zu erheben, eine Disziplinarverfügung zu erlassen oder das Disziplinarverfahren einzustellen.
Im konkreten Fall war eine Mitwirkung der Gleichstellungsbeauftragten nicht geboten. Der gegen den Bundesbeamten erhobene Vorwurf der Bestechlichkeit hatte keinen Bezug zu den Mitwirkungsrechten der Beauftragten.
Dennoch hat das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht (OVG) zurückverwiesen, weil die Bemessung der Disziplinarmaßnahme durch das OVG Fehler aufwies und das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall die Disziplinarmaßnahme nicht selbst bestimmen durfte. Zum einen hat das OVG dem Beamten zu Unrecht dessen zulässiges Verteidigungsverhalten angelastet. Zum anderen durfte das OVG die beachtliche Medienresonanz nicht zum Nachteil des Beamten berücksichtigen. Schließlich hat das OVG die Beweggründe für dessen Verhalten nicht aufgeklärt. Demgegenüber hat das OVG zutreffend entschieden, dass die Gesamtdauer des Disziplinarverfahrens der Aberkennung des Ruhegehalts nicht entgegensteht.
Vorinstanzen:
OVG Berlin-Brandenburg 82 D 1.09 – Urteil vom 28. Oktober 2010
VG Berlin 85 A 3.08 – Urteil vom 23. März 2009
Zitiert nach Pressemitteilung Bundesverwaltungsgericht Nr. 14/ 2013
Ergänzung:
Für Beamte ist jedoch zudem der zweite Leitsatz des o.g. Urteils des Bundesverwaltungsgerichts entscheidend, welcher aus der Pressemitteilung nicht hervorgeht, sondern sich ausschließlich aus den Urteilgründen selbst ergibt.
Das Bundesverwaltungsgericht nimmt in o.g. Sache zur Wahrheitspflicht des Beamten im Disziplinarverfahren wir folgt im Leitsatz Stellung:
“ Die Grenze der dienstrechtlichen Wahrheitspflicht eines Beamten im Disziplinarverfahren orientiert sich an den Grenzen des zulässigen Verteidigungsverhaltens im Strafverfahren. Das Verhalten des betroffenen Beamten im Disziplinarverfahren stellt nur dann eine weitere Dienstpflichtverletzung dar, wenn der Beamte im Disziplinarverfahren wider besseres Wissen Dritte diffamiert oder sonst vorsätzlich gegen Strafbestimmungen verstößt“
Aus den Urteilsgründen ergibt sich hierzu folgendes:
„(…)Macht ein Beamter im behördlichen Disziplinarverfahren von seinem Schweigerecht, auf das er nach § 20 Abs. I S.3 BDG ausdrücklich hinzuweisen ist, keinen Gebrauch, so hat es dennoch keine dienstrechtliche Pflicht, im Verfahren vollumfänglich und wahrheitsgemäß auszusagen. Eine derart weit reichende dienstrechtliche Wahrheitspflicht kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil sie das Recht des Beamten auf angemessene Verteidigung gegen disziplinarische Vorwürfe unangemessen einschränkte. Der Beamte wäre in dem gegen ihn geführten Disziplinarverfahren vor die Wahl gestellt, entweder vollumfänglich zu schweigen oder das ihm vorgeworfene Dienstvergehen zu gestehen und sämtliche, auch ihn belastende und bisher unbekannte Umstände von sich aus offen zu legen. Eine Hervorhebung von den Beamten objektiv entlastenden Umständen oder auch eine lediglich verharmlosende Darstellung des eigenen Fehlverhaltens wäre danach als eine weitere Dienstpflichtverletzung bei der Maßnahmebemessung erschwerend zu berücksichtigen.
Für den Bereich des Strafprozesses ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass das Verteidigungsverhalten des Angeklagten bei der Strafzumessung nur dann strafschärfend berücksichtigt werden darf, wenn die Grenze angemessener Verteidigung eindeutig überschritten ist und sein Verhalten eine selbstständige Rechtsgutsverletzung enthält. Diese Grenze ist nicht erreicht, wenn der Angeklagte die Tat wahrheitswidrig leugnet, einen unzutreffenden Tathergang schildert oder die Tat und ihre Folgen beschönigt. Dem Angeklagten darf auch nicht zum Nachteil gereichen, dass er anderen die Schuld an der Tat zuschiebt und sich diese Vorwürfe als haltlos erweisen. Gleiches gilt, wenn er Belastungszeugen, insbesondere das Tatopfer, mit unzutreffenden Behauptungen angreift oder gar der Lüge bezichtigt, um ihre Glaubwürdigkeit oder die Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben zu erschüttern. Dagegen ist eine Herabwürdigung von Zeugen, die keinen Bezug zur Tat aufweist, von dem Recht auf Verteidigung nicht mehr gedeckt.
Diese Grundsätze des Bundesgerichtshofs zur Grenze des zulässigen Verteidigungsverhaltens im Strafprozess sind auf die Bemessungsentscheidung nach § 13 BDG zu übertragen. Dies gilt unmittelbar für die Fallgestaltung, dass das zulässige Verteidigungsverhalten des Beklagten im Strafverfahren diesem nachträglich im Disziplinarverfahren angelastet werden soll. Hier schließt es der Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung aus, dass es dem Beamten im Disziplinarverfahren zum Nachteil gereicht, im Strafprozess die dort zulässigen Verteidigungsmöglichkeiten genutzt zu haben. Aber auch das Verhalten des Beamten im Disziplinarverfahren bei der Aufklärung des Dienstvergehens kann disziplinarisch nicht anders als sein Verhalten im Strafprozess gewürdigt werden.
Orientiert sich die dienstrechtliche Wahrheitspflicht im Disziplinarverfahren grundsätzlich an den Grenzen des zulässigen Verteidigungsverhaltens im Strafverfahren, so ist die Grenze des dienstrechtlich Zulässigen erst überschritten, wenn der Beamte im Disziplinarverfahren wider besseres Wissen Dritte diffamiert oder sonst vorsätzlich gegen Strafbestimmungen verstößt. Dem entspricht, dass ein Beamter erst bei Überschreitung dieser Grenzen oder bei grob schuldhaftem Aufstellen unwahrer Behauptungen dienstlich gemaßregelt oder benachteiligt werden darf, wenn er von seinem Recht Gebrauch macht, Beschwerden vorzubringen oder Rechtsschutz zu beantragen (…)“
(Zitiert nach BVerwG, Urteil v. 28.02.13-2 C 26/11-,juris Rn. 50-53)
Jürgen Liebhart
Rechtsanwalt
Dipl.-Verwaltungswirt (FH)