Keine wirksame Anklage bei Sachverhaltsänderungen beim Erwerb von Betäubungsmittel
Die wirksame Anklage ist eine von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Es lohnt sich immer, einen Blick auf die Wirksamkeit der Anklage zu werfen und zu prüfen, ob die ausgeurteilte Tat von der Anklage umfasst ist.
Erwerb von 6 kg Marihuana Ende November 2014 ist andere prozessuale Tat als Erwerb von 600g Marihuana im Sommer 2014
BGH hebt Urteil des LG München II wegen Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung teilweise auf und stellt Verfahren ein – es fehlten eine wirksame Anklage und ein Eröffnungsbeschluss.
Sachverhalt
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, neun Monaten und einer Woche verurteilt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt.
Keine wirksame Anklage zum verurteilten Sachverhalt
Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt hat, fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung einer darauf bezogenen Anklageschrift und demzufolge an einem entsprechenden Eröffnungsbeschluss.
ursprüngliche Anklage wegen 6 kg Marihuana mit Erwerb Ende November 2014
Dem Angeklagten war mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift zur Last gelegt worden, sechs Kilogramm Marihuana, das ein „K.“ zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt Ende November 2014 gekauft und zum gewinnbringenden Weiterverkauf an eine Vielzahl von Abnehmern übernommen hatte, für diesen in seiner Wohnung bzw. dem zugehörigen Garten bis zum späteren Weiterverkauf aufbewahrt zu haben.
Verurteilung wegen 600 g Marihuana mit Erwerb im Sommer 2014
Das Landgericht hat dann im Rahmen der Beweisaufnahme hierzu festgestellt, dass „K.“ seit mindestens Frühjahr 2014 einen regen Handel mit Marihuana in H. und Umgebung betrieb. Dieses hatte er zuvor unter anderem im Raum K. erworben. Das Rauschgift lagerte er nach Verbringung in sein Absatzgebiet bei Freunden und Bekannten ein, so auch beim Angeklagten.
Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitraum im Sommer 2014 kaufte „K.“ bei einer namentlich nicht bekannten Person 600 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von zehn Prozent Tetrahydrocannabinol. Er verbrachte das Marihuana, das in sechs vakuumierten Tüten verpackt war, in Absprache mit dem Angeklagten zu dessen Wohnung. Entsprechend der Vereinbarung mit K. verwahrte der Angeklagte die Betäubungsmittel entweder in der Wohnung oder im Garten des Anwesens bis zu deren Weiterverkauf bzw. teilweisen Eigenkonsum durch „K.“. Eine Entlohnung hierfür erhielt er von „K.“ nicht.
Urteil zugrunde liegender Sachverhalt nicht von ursprünglicher Anklage erfasst
Diese vom Landgericht als Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bewertete Tathandlung des Angeklagten war aber nicht Gegenstand des Verfahrens. Es handelt sich nach Auffassung des BGH vielmehr im Verhältnis zum anklagegegenständlichen Sachverhalt um eine andere Tat im Sinne des § 264 StPO.
Der prozessuale Tatbegriff umfasst den von der zugelassenen Anklage betroffenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Den Rahmen der Untersuchung bildet also zunächst das tatsächliche Geschehen, wie es die Anklage beschreibt. Dabei kommt es im Einzelfall darauf an, ob zwischen den zu beurteilenden Verhaltensweisen unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung eine so enge innere Verknüpfung besteht, dass eine getrennte Aburteilung in verschiedenen Verfahren einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde.
Das Tatgericht muss hierbei seine Untersuchung auch auf Teile der Tat erstrecken, die erst in der Hauptverhandlung bekannt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 153/14, StraFo 2015, 68; Beschluss vom 27. November 2011 – 3 StR 255/11, NStZ 2012, 268 f.). Die Umgestaltung der Strafklage darf aber nicht dazu führen, dass die Identität der von der Anklage umfassten Tat nicht mehr gewahrt ist, weil das von ihr zugrunde liegende Geschehen durch ein anderes ersetzt wird (BGH, Urteil vom 30. Oktober 2008 – 3 StR 375/08, StraFO 2009, 71).
Für die Beurteilung, ob ein bestimmtes tatsächliches Geschehen Teil der prozessualen Tat ist, lassen sich über das Vorgenannte hinaus kaum generalisierende Kriterien angeben. Maßgeblich sind stets die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 – 1 StR 415/12, BGHR StPO § 264 Abs. 1 Ausschöpfung 5 mwN).
Gemessen daran ist der abgeurteilte Sachverhalt nicht Gegenstand der Anklageschrift gewesen. Die Feststellungen des Landgerichts weichen hinsichtlich der Tatzeit und Menge des verwahrten Betäubungsmittels so erheblich vom Anklagevorwurf ab, dass mit ihnen eine andere als die angeklagte Tat beschrieben ist.
Entgegen den Ausführungen der Strafkammer ist die „Nämlichkeit“ der Tat nicht damit zu begründen, dass die Ermittlungsbehörden bei der Beurteilung der Aussage des Zeugen P. einem Missverständnis unterlegen sein sollen. Dieser Zeuge schilderte in seiner Vernehmung zwei unterschiedliche Vorfälle, zum einen den anklagegegenständlichen „Sechs-KiloVorfall“ (UA S. 27), von dem er vom Hörensagen Kenntnis erlangt habe. Der Zeuge ordnete den Vorgang zeitlich etwa zehn bis fünfzehn Tage vor seiner Vernehmung vom 8. Dezember 2014 ein, demnach wie in der Anklageschrift zugrunde gelegt Ende November 2014. Zum anderen beschrieb der Zeuge P. einen Vorfall, ohne diesen jedoch zeitlich näher einzuordnen, bei dem er persönlich den Mitangeklagten „K.“ zum Angeklagten begleitet und hierbei sechs vakuumierte Tüten mit etwa je 100 Gramm Marihuana von diesem gezeigt bekommen habe.
Bereits diese Schilderung zeigt eindeutig auf, dass es sich bei den beiden Vorgängen nicht um einen einheitlichen Vorgang im Sinne einer prozessualen Tat gehandelt hat.
Aufhebung und Teileinstellung
Der Rechtsfehler führt hinsichtlich des Angeklagten zur Aufhebung des Urteils (…) und insoweit zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a Abs. 1, § 354 Abs. 1 StPO.
angemessene Kompensation bei Verfahrensdauer von über 22 Monaten zwischen Urteil und Eingang des Revisionsverfahrens nötig
Der Senat hebt des Weiteren den Strafausspruch auf, um dem neuen Tatgericht mit Blick auf die verhängte Geldstrafe wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln die Möglichkeit einer angemessenen Kompensationsentscheidung zu eröffnen, nachdem zwischen Urteilsverkündung und Eingang des Revisionsverfahrens beim Generalbundesanwalt über 22 Monate vergangen sind.