Fahrerlaubnisentziehung zulässig, wenn Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen von Fahrerlaubnisbehörde und Strafgericht nicht mehr besteht
Das nach § 3 Abs. 3 StVG für die Fahrerlaubnisbehörde geltende Verbot, einen Sachverhalt zu berücksichtigen, der Gegenstand eines anhängigen Strafverfahrens ist, in dem eine Fahrerlaubnisentziehung nach § 69 des Strafgesetzbuches – StGB – in Betracht kommt, erledigt sich, wenn nach dem zwischenzeitlich ergangenen Strafurteil die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen nicht mehr besteht.
Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 28.06.2012 entschieden.
In diesem Verfahren wandte sich der Kläger gegen die Aberkennung des Rechts, von einer in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis in Deutschland
Gebrauch zu machen. Ihm wurde im September 2004 durch Strafurteil seine deutsche Fahrerlaubnis wegen zweier Trunkenheitsfahrten und Unfallflucht entzogen. Im
April 2008 erwarb er eine tschechische Fahrerlaubnis der Klasse B. Im August 2009 beantragte der Kläger in Deutschland eine ergänzende Fahrerlaubnis. Die Fahrerlaubnisbehörde gab ihm wegen der vorausgegangenen Fahrerlaubnisentziehung auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Frage vorzulegen, ob zu erwarten sei, dass er auch künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen oder erhebliche Verkehrsverstöße begehen werde. Der Kläger legte ein vom 7. Oktober 2009
datierendes Gutachten vor, in dem diese Fragen bejaht werden. Der Kläger sei alkoholabhängig; die erforderliche Entwöhnung und Abstinenz habe er nicht nachgewiesen.
Am 3. Oktober 2009 geriet der Kläger in den Verdacht, erneut unter Alkoholeinfluss gefahren zu sein und Unfallflucht begangen zu haben; die Blutprobe ergab eine
Blutalkoholkonzentration von 1,97 Promille. Der Kläger wurde mit Strafurteil vom 7. Juli 2010 aber freigesprochen; der Verdacht einer Verkehrsteilnahme habe sich
nicht erhärtet. Der Beklagte entzog dem Kläger im November 2009 seine tschechische Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen; das ergebe sich aus dem medizinisch-psychologischen Gutachten. Sein Widerspruch blieb ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat seine Klage abgewiesen.
Das Oberverwaltungsgericht Koblenz hat diese Entscheidung geändert und die angegriffenen Bescheide aufgehoben.
Die Fahrerlaubnisentziehung verstoße gegen den unionsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs setze die Entziehung ein nach Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis liegendes Verhalten bzw. nachträgliche Umstände voraus. Es reiche nicht, wenn nachträglich ein für den Betroffenen negatives Fahreignungsgutachten erstellt und von ihm auch vorgelegt werde, das keinen solchen Bezug aufweise. So liege es hier aber. Die Umstände, auf die die Alkoholabhängigkeit des Klägers zurückgeführt werde, datierten aus der Zeit davor. Der Vorfall vom 3. Oktober 2009 dürfe gemäß § 3 Abs. 3 StVG nicht verwertet werden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Berufungsurteil geändert; die gegen die Fahrerlaubnisentziehung gerichtete Klage bleibt damit ohne Erfolg. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hindert § 3 Abs. 3 StVG nicht daran, den beim Kläger am 3. Oktober 2009 festgestellten erheblichen Alkoholkonsum als nachträglichen Umstand im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu berücksichtigen.
Das Berücksichtigungsverbot des § 3 Abs. 3 StVG dient dazu, widersprüchliche Entscheidungen von Fahrerlaubnisbehörde und Strafgericht in Bezug auf einen Sachverhalt zu vermeiden, der einem noch anhängigen Strafverfahren zugrunde liegt. Dieses vorübergehende Verfahrenshindernis für die Fahrerlaubnisbehörde wandelt sich in das Verbot einer widersprüchlichen Entscheidung im Sinne von § 3 Abs. 4 StVG, wenn mittlerweile ein rechtskräftiges Strafurteil ergangen ist. Ein solcher Widerspruch ergab sich hier nicht.
Quelle:
BVerwG 3 C 30.11 – Urteil vom 28. Juni 2012
Vorinstanzen:
OVG Koblenz, 10 A 11241/10 – Urteil vom 13. Mai 2011 –
VG Neustadt an der Weinstraße, 6 K 513/10.NW – Urteil vom 5. Oktober 2010 –