Ist Bußgeldbescheid bei Tat vor dem neuen Bußgeldkatalog unwirksam?
Darf für eine Tat nach dem “alten Bußgeldkatalog” wegen der Unwirksamkeit des “neuen Bußgeldkatalogs” Geldbuße / Fahrverbot verhängt werden?
Das Bayerische Oberste Landesgericht hatte über einen Fall nach dem “alten Bußgeldkatalog” (Tat vor dem 28.04.2020) und damit über die Frage, ob wegen der Unwirksamkeit des “neuen Bußgeldkatalogs” auch verhängte Sanktionen nach dem “alten Bußgeldkatalog” unwirksam sind zu entscheiden.
Keine wirksame Rechtsgrundlage für Taten vor dem 28.04.20 wegen Unwirksamkeit des neuen Bußgeldkataloges?
In einem Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht wurde argumentiert, dass durch die am 28.04.2020 in Kraft getretenen StVO-Novelle, durch die auch die Bußgeldkatalog-Verordnung neu gefasst werden sollte, keine Rechtsgrundlage mehr für die Verhängung eines Fahrverbotes nach der vorherigen Version der Bußgeldkatalog-Verordnung bestehe.
Neuer Bußgeldkatalog ist verfassungswidrig und damit nichtig
In der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.04.2020 fehlt ein erforderlicher Hinweis auf die Ermächtigungsgrundlage des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG. Wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot nach Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG darf nach der Neufassung der BKatV die Verhängung von Fahrverboten nicht mehr erfolgen.
Im Hinblick auf § 4 Abs. 3 OWiG verbiete sich nach Auffassung des Beschwerdeführers eine weitere Anwendung der BKatV in ihrer bisherigen Fassung, da sich die neue – nichtige – Regelung für den Betroffenen als günstiger darstelle.
Keine Auswirkung auf eine Änderung der Sanktion durch die (unwirksame) Neufassung der BKatV
Liegt der Zeitpunkt der Tat vor Inkrafttreten der StVO-Novelle und der Zeitpunkt der Urteilsfindung nach Inkrafttreten der StVO-Novelle führe dies nach Auffassung des BayObLG nicht zu einer Änderung der Sanktion durch die Neufassung der BKatV. Insbesondere bestehe keine Ahndungslücke, welche über die Regelung des § 4 Abs. 3 OWiG zur Sanktionslosigkeit der alten Tat führen könnte oder zumindest die Verhängung eines Fahrverbotes verbiete.
Keine konkrete Aussage, ob neue BKatV nichtig ist
Ob die 54. Verordnung zur Änderung der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften wegen der Verletzung des Zitiergebotes insgesamt nichtig ist oder auch nur in Teilen, ließ das Gericht offen. Die Frage musste für die vorliegende Konstellation einer Sanktion nach dem “alten Bußgeldkatalog” nicht geklärt werden.
Jedenfalls hätte Nichtigkeit der neuen Regelungen keine Auswirkung auf Taten vor dem 28.04.2020
Der 1. Senat des Bayerischen Obersten Landesgerichts führt dazu in seinem Beschluss vom 11.11.2020 (Az. 201 ObOWi 1043/20) aus:
“aa) Der Senat kann in der hier inmitten stehenden Fallkonstellation (Zeitpunkt der Tat vor Inkrafttreten der StVO-Novelle und Zeitpunkt der Urteilsfindung nach Inkrafttreten der StVO-Novelle; keine Änderung der Sanktion durch die Neufassung der BKatV) dahin stehen lassen, ob aufgrund des fehlenden Zitats der Ermächtigungsgrundlage des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG in der genannten Verordnung ein Verstoß gegen das Zitiergebot nach Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG vorliegt und ob ein solcher mutmaßlich auf einem redaktionellen Versehen beruhender Verstoß zur Nichtigkeit der Regelung führt (vgl. hierzu grundlegend BVerfG NJW 1999, 3253, 3256; jüngst auch OLG Oldenburg, Beschl. v. 08.10.2020 – 2 Ss [OWi] 230/20 bei juris). Damit kann auch die Frage offen bleiben, ob der genannte Verstoß zur vollständigen Nichtigkeit der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.04.2020 (vgl. Deutscher VRR 2020 Nr. 7, S. 4 – 6) oder nur zur Nichtigkeit der Neuregelung der BKatV oder gar nur von Teilen derselben führt, was insbesondere für Fallkonstellationen der hier vorliegenden Art, die von der StVO-Novelle gar nicht betroffen sind, von Bedeutung wäre (vgl. Grube in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 4 BKatV (Stand: 09.07.2020) Rn. 12.4; grundlegend zur Problematik der Teilnichtigkeit beim Zitat einer unzutreffenden Ermächtigungsgrundlage Schubert NZV 2011, 369, 372 f.).”
Bußgeldkatalog-Verordnung in ihrer bisherigen Fassung weiterhin Grundlage für die Ahndung
“bb) Selbst wenn anzunehmen wäre, dass sich die Änderung der BKatV in der zuletzt gültigen Fassung vom 06.06.2019 (BGBl. I, 756) durch die 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.04.2020 als nichtig erweist, führt dies nicht dazu, dass die BKatV in ihrer bisherigen Form keine Grundlage mehr für die Ahndung darstellt. Die Rechtsbeschwerde verkennt, dass durch Art. 3 der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften die BKatV „wie folgt geändert“ werden sollte. Damit ist die BKatV in ihrer bisherigen Fassung nicht aufgehoben worden, sondern sollte lediglich abgeändert werden. Für Änderungsgesetze ist anerkannt, dass bei deren Verfassungswidrigkeit die ursprüngliche Gesetzesfassung in Kraft bleibt, da eine nichtige Regelung nicht in der Lage ist, ein Gesetz zu ändern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.07.2000 – 1 BvR 539/96 = BeckRS 2000, 22589 Rn. 53, 88; Hömig in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, 59. EL April 2020, BVerfGG § 95 Rn. 39; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 11. Aufl. Rn. 457 f.). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn sich aus dem Reformgesetz ergibt, dass der Gesetzgeber die alte Regelung auf jeden Fall abschaffen wollte (vgl. Schlaich/Koriotha.O. Rn. 459).
cc) Diese Grundsätze, die im Falle der Nichtigkeit eines Änderungsgesetzes anzuwenden sind, haben auch im Falle der Nichtigkeit der Änderung einer Rechtsverordnung Geltung zu beanspruchen. Bezogen auf die beabsichtigte Neuregelung der BKatV kann keine Rede davon sein, dass die bisherige BKatV auf jeden Fall oder gar ersatzlos aufgehoben werden sollte. Zum einen ließ der Verordnungsgeber große Teile der bisherigen Regelung unverändert, zum anderen wollte er die Verkehrssicherheit durch die teilweise Erhöhung von Regelgeldbußen und die erleichterte Einführung von Regelfahrverboten erkennbar erhöhen.
c) Folglich steht auch § 4 Abs. 3 OWiG, dessen Regelungsinhalt auf die BKatV einschließlich deren Anlagen anzuwenden ist (vgl. Göhler/Gürtler OWiG 17. Aufl. § 4 Rn. 2a; KK/Rogall OWiG 5. Aufl. § 4 Rn. 8), der hier ausgesprochenen Ahndung nicht entgegen. Anders als in der Fallgestaltung, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.07.1992 zugrunde lag (vgl. BGH, Urt. v. 23.07.1992 – 4 StR 194/92 = NStZ 1992, 535 = wistra 1992, 344 = BGHR StGB § 2 Abs. 3 Gesetzesänderung 8), bestand hier zu keinem Zeitpunkt eine nicht gewollte Ahndungslücke, zumal die gesetzliche Grundlage für die Ahndung von Verkehrsverstößen keine Änderung erfahren hat.”
Bußgeldkatalogverordnung selbst ist nicht die Rechtsgrundlage für Fahrverbot
Das Gericht arbeitete nochmal klar heraus, dass die Rechtsgrundlage für die Verhängung von Geldbußen bzw. die Anordnung von Fahrverboten unmittelbar §§ 24, 24a, 25 StVG i.V.m. § 49 StVO, § 17 OWiG sei. Die Bußgeldkatalog-Verordnung sei lediglich ein “Instrument zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung“:
“d) Die BKatV verfolgt nämlich gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 2 StVG nur den Zweck, unter Berücksichtigung der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit zu bestimmen, in welchen Fällen, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe die Geldbuße festgesetzt und für welche Dauer das Fahrverbot angeordnet werden soll. Sie ist damit lediglich ein Instrument zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung. Die Rechtsgrundlage für die Verhängung von Geldbußen bzw. die Anordnung von Fahrverboten folgt aber weiterhin unmittelbar aus §§ 24, 24a, 25 StVG i.V.m. § 49 StVO, § 17 OWiG. Die Vorschrift des § 25 StVG ist auch nach Inkrafttreten der BKatV alleinige Rechtsgrundlage für die Verhängung des Fahrverbots; sie hat durch die Ermächtigungsnorm des § 26a StVG vom 28.12.1982 und durch die Regelungen der BKatV keine Änderung erfahren. Insbesondere haben § 26a StVG und die BKatV auch die besonderen Voraussetzungen unberührt gelassen, unter denen nach § 25 StVG im Rechtsfolgensystem des Ordnungswidrigkeitenbereichs ein Fahrverbot neben der Geldbuße ausgesprochen werden kann (BGH, Beschl. v. 28.11.1991 – 4 StR 366/91 = BGHSt 38, 125 = ZfSch 1992, 30 = NJW 1992, 446 = VerkMitt 1992, Nr 11 = NStZ 1992, 135 = DAR 1992, 69 = NZV 1992, 117 = BGHR StVG § 25 Fahrverbot 1 = VRS 82 [1992], 216; OLG Karlsruhe NZV 1991, 278; OLG Düsseldorf NZV 1991, 398 [399]; OLG Saarbrücken NZV 1991, 399 [400]). Grundlage für die Bußgeldbemessung bleiben auch unter dem Regime der BKatV die Kriterien des § 17 Abs. 3 OWiG (KG, Beschl. v. 27.04.2020 – 3 Ws [B] 49/20 – 122 Ss 19/20 = BeckRS 2020, 18279 = NZV 2020, 597 [Ls]). Selbst wenn die BKatV unanwendbar wäre, führte dies nicht dazu, dass keine Rechtsgrundlage mehr für die Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten und insbesondere für die Verhängung von Farbverboten bestünde.”
Eine Entscheidung über die Wirksamkeit von Sanktionen, insbesondere ein Fahrverbot für eine Tat nach Inkrafttreten der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.04.2020 hat das Gericht in seinem Beschluss nicht konkret getroffen. Es bleiben also die weiteren Entscheidungen für Taten nach dem 28.04.2020 abzuwarten.
Quelle / Zitat:
Pressemitteilung des Bayerisches Oberstes Landesgericht (BayObLG) vom 11.11.2020, Aktenzeichen 201 ObOWi 1043/20
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