
Drecksfotze“, „Schlampe“, „Drecksau“ – Beleidigungen im Netz – Wann ist die Grenze zur Strafbarkeit überschritten?
Wann ist eine Beleidigung strafbar? – Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Beleidigungen
Beleidigungen im Internet sind ein brisantes Thema. Immer wieder stellt sich die Frage, welche Aussagen durch die Meinungsfreiheit geschützt sind und wo die Grenze zur strafbaren Beleidigung überschritten wird. Besonders in der politischen Auseinandersetzung sind unsachliche und polemische Angriffe keine Seltenheit. In sozialen Netzwerken wie Facebook kommt es immer wieder zu hitzigen Diskussionen, die nicht selten in beleidigenden Äußerungen enden. Doch wann handelt es sich dabei um strafbare Beleidigungen nach § 185 StGB, und wann sind solche Äußerungen noch von der Meinungsfreiheit gedeckt?
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Beschluss vom 19. Dezember 2021 (Az. 1 BvR 1073/20) eine klare Linie gezogen und die Rechte von Betroffenen gestärkt, die im Internet beleidigt oder diffamiert wurden. Die Entscheidung überholt dabei frühere Urteile, die eine sehr weite Auslegung der Meinungsfreiheit zugrunde legten.
Wir zeigen, welche Auswirkungen das Urteil hat und warum die Annahme, dass herabwürdigende Aussagen immer dann zulässig seien, wenn sie sich auf eine “Sachauseinandersetzung” beziehen, so nicht mehr haltbar ist.
Der Ausgangsfall: Beleidigungen gegen Renate Künast auf Facebook
Die Politikerin Renate Künast war auf Facebook mit äußerst vulgären und herabsetzenden Äußerungen konfrontiert worden. Kommentatoren bezeichneten sie unter anderem „Drecksfotze“, „Schlampe“, „Dreckssau“, „geisteskrank“ und weiteren schwerwiegenden Herabwürdigungen. Die Betroffene beantragte daraufhin eine gerichtliche Anordnung zur Offenlegung der Nutzerdaten, um gegen die Verfasser strafrechtlich vorzugehen.
Das Landgericht Berlin hatte in einem früheren Beschluss jedoch festgestellt, dass die meisten dieser Äußerungen noch von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Das Gericht argumentierte, dass die Aussagen einen Sachbezug hätten und in den Kontext der politischen Auseinandersetzung eingeordnet werden müssten.
Das Kammergericht Berlin bestätigte diese Einschätzung in weiten Teilen. Lediglich einige besonders schwere Beleidigungen wurden als potenziell strafbar eingestuft.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – Klare Grenzen für Hassrede
Das Bundesverfassungsgericht hob die Entscheidungen der Berliner Gerichte auf und stellte fest, dass diese die Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Betroffenen verkannt hatten.
Eine Beleidigung liegt nicht erst dann vor, wenn es sich um eine Schmähkritik handelt, also eine Äußerung, die ausschließlich auf die Herabsetzung der Person abzielt. Vielmehr müssen die Gerichte in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und der Meinungsfreiheit des Äußernden vornehmen.
Es wurde insbesondere betont:
- Nicht jede Kritik ist von der Meinungsfreiheit gedeckt – insbesondere dann nicht, wenn die Äußerung primär auf die Herabwürdigung einer Person abzielt. Das Gericht betonte, dass eine Beleidigung nicht nur dann vorliegt, wenn es sich um eine Schmähkritik handelt. Vielmehr müssen die Gerichte in jedem Einzelfall prüfen, ob die Äußerung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen in unzulässiger Weise verletzt. Dabei sind Faktoren wie der Inhalt, die Form, der Anlass und die Wirkung der Äußerung zu berücksichtigen.
- Beleidigungen sind nicht automatisch zulässig, nur weil sie in eine Sachauseinandersetzung eingebettet sind. Die Berliner Gerichte hatten in ihrer Argumentation zu einseitig auf den “Sachbezug” abgestellt, ohne ausreichend zu prüfen, ob die Aussagen gezielt herabwürdigend waren. Auch wenn eine Äußerung einen Bezug zu einer öffentlichen Diskussion hat, kann sie dennoch eine Beleidigung darstellen. Entscheidend ist, ob die Äußerung in erster Linie darauf abzielt, die Person herabzusetzen, oder ob sie einen sachlichen Beitrag zur Debatte leistet.
- Die politische Rolle einer Person bedeutet nicht, dass diese grenzenlose Angriffe hinnehmen muss. Politiker und öffentliche Personen müssen zwar mehr Kritik aushalten, doch gibt es klare Grenzen, wenn es um massive Verunglimpfungen geht. Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens müssen zwar eine erhöhte Kritikfähigkeit zeigen, jedoch sind auch sie nicht schutzlos beleidigenden Äußerungen ausgesetzt. Das Bundesverfassungsgericht stellte klar, dass ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern auch im öffentlichen Interesse liegt.
- Die Unterscheidung zwischen Meinung und Schmähkritik ist nicht immer entscheidend – auch dann, wenn eine Aussage keine Schmähkritik im engeren Sinne ist, kann sie dennoch strafbare Beleidigung sein. Das Gericht kritisierte, dass das Landgericht Berlin keine ausreichende Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten vorgenommen hatte. Stattdessen hatte es die Beleidigungstatbestände zu eng an die Voraussetzungen der Schmähkritik geknüpft. Das Bundesverfassungsgericht hob daher die Entscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung zurück.
Was bedeutet das Urteil für die Praxis?
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sorgt für eine wichtigere Neubewertung von Hassrede und Beleidigungen im Internet.
1. Keine pauschale Berufung auf den Sachbezug mehr
Früher wurde oft argumentiert, dass beleidigende Aussagen dann zulässig seien, wenn sie in einer politischen Debatte geäußert wurden. Das BVerfG hat nun klargestellt, dass dies nicht ausreicht. Auch in einer politischen Auseinandersetzung gibt es Grenzen, und massive Diffamierungen sind nicht automatisch zulässig.
2. Klare Stärkung des Persönlichkeitsrechts
Opfer von massiven Beleidigungen können nun leichter gegen anonyme Hater vorgehen. Plattformbetreiber können verpflichtet werden, die Identität von Kommentatoren preiszugeben, wenn eine klare Beleidigung vorliegt.
3. Gerichte müssen genauer prüfen
Die Entscheidung zeigt, dass Gerichte eine sorgfältige Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht vornehmen müssen. Die pauschale Einordnung von herabwürdigenden Aussagen als “Meinungsäußerung” ist nicht mehr ausreichend.
Fazit: Kein Freibrief für Hetze im Netz
Mit diesem Beschluss vom 19. Dezember 2021 setzte das Bundesverfassungsgericht ein klares Zeichen gegen Hassrede und Beleidigungen im Internet. Es stellte klar, dass auch Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens ein Recht auf Schutz vor ehrverletzenden Angriffen haben.
Die pauschale Annahme, dass eine Beleidigung immer dann zulässig sei, wenn sie im Zusammenhang mit einer Sachdebatte steht, ist nicht mehr haltbar. Gerade in den sozialen Medien wird dieses Urteil dazu führen, dass Hasskommentare künftig strenger geahndet werden können.
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