
Neuer Bußgeldkatalog: Sind die neuen Fahrverbote unwirksam?
Sind der “neue Bußgeldkatalog” und die Regelungen zum Fahrverbot verfassungswidrig?
Seit 28.04. 2020 gilt ja bekanntlich die drastische Verschärfung des Bußgeldkatalogs. Wer mit 16 km/h zu schnell unterwegs ist, muss mit 1 Punkt in Flensburg im Fahreignungsregister (FAER) rechnen. Zudem droht ein Bußgeld von 70 Euro (innerorts) sowie 60 Euro außerhalb geschlossener Ortschaften. Wir hatten dazu und auch zu der Verschärfung der Regelungen zum Fahrverbot berichtet. Eine Überarbeitung war angeblich geplant, wurde aber noch nicht umgesetzt, da sich wohl einige Länder dagegen äußern. Wir hatten berichtet!
Regelungen zum Fahrverbot unwirksam?
Nun gibt es bereits findige Juristen, die in Frage stellen, ob der neue Bußgeldkatalog überhaupt mit seinen Regelungen zum Fahrverbot verfassungsgemäß sind.
Diese Zweifel an der Wirksamkeit der StVO-Novelle rühren daher, dass das sog. Zitiergebot des Grundgesetz verletzt sein könnte. Nach Artikel 80 I 3 des GG muss in einer Rechtsverordnung die dieser zugrunde liegende Ermächtigungsgrundlage zitiert werden:
“Art 80 GG
(1) Durch Gesetz können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden. Die Rechtsgrundlage ist in der Verordnung anzugeben. (…)”
In der 54. ÄnderungsVO ‒ der StVO-Novelle 2020 ‒ werden aber in der Präambel, 3. Spiegelstrich nur § 26a I Nr. 1 und 2 StVG und nicht auch § 26a I Nr. 3 StVG genannt. Das wäre für eine Änderung oder Neueinführung von Regelfahrverboten aber erforderlich gewesen.
Was sind die Konsequenzen des Formfehlers?
Nun kann darüber diskutiert werden, was die Konsequenzen der Verletzung des Zitiergebotes sind. Es mag sich um einen Formfehler handeln. Aber das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist bei einem solchem Formfehler, also dem Verstoß gegen das Zitiergebot sehr streng.
So hat es in seiner Entscheidung vom 06.07.1999 (2 BvF 3/90) schon klargestellt, dass ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art 80 Abs. 1 S. 3 GG zur Nichtigkeit der Verordnung führt:
“Leitsätze zum Urteil des Zweiten Senats vom 6. Juli 1999
– 2 BvF 3/90 –
-
- a) Eine Verordnung, die auf mehreren Ermächtigungsgrundlagen beruht, muß diese vollständig zitieren.
b) Eine Mißachtung des Zitiergebots des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG führt zur Nichtigkeit der Verordnung.”
- a) Eine Verordnung, die auf mehreren Ermächtigungsgrundlagen beruht, muß diese vollständig zitieren.
Nach Art. 80 I 3 GG ist in einer bundesrechtlichen Verordnung deren Rechtsgrundlage anzugeben. Das erfordert, dass nicht nur das ermächtigende Gesetz als solches, sondern die ermächtigende Einzelvorschrift aus diesem Gesetz in der Verordnung genannt wird. Will der Verordnunggeber nach seinem erkennbar geäußerten Willen von mehreren Ermächtigungsgrundlagen Gebrauch machen, so muss er diese vollständig in der Verordnung angeben.
Das BVerfG führt in der zitierten Entscheidung 2 BvF 3/90 aus:
“Eine Mißachtung des Zitiergebots verletzt ein “unerläßliches Element des demokratischen Rechtsstaates” (…). Ein solcher Mangel führt deshalb zur Nichtigkeit der Verordnung (…).”
Verordnung insgesamt nichtig?
U.E. führt der Verstoß zur Nichtigkeit der Verordnung insgesamt. Eine nur teilweise Nichtigkeit würde zu großer Rechtsunsicherheit führen. Somit wären alle Neuregelungen insgesamt unwirksam erlassen worden!
Neue Regelfahrverbote unwirksam?
Aber selbst bei einer Teilnichtigkeit ist durch die fehlende Zitierung von § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVO u.E. eine wirksame Erweiterung der Regelfahrverbote durch § 4 BKatV nicht erfolgt. Daher sind die neuen Fahrverbotsregelungen des § 4 Abs.1 BKatV wohl unwirksam und die neue Regelfahrverbote bei
- Geschwindigkeitsüberschreitung von 21–30 km/h innerorts
- Geschwindigkeitsübertretungen von 26–40 km/h außerorts
- Grundtatbestand des Nichtbildens einer Rettungsgasse
- Befahren einer Rettungsgasse durch Unbefugte
- gefährliches Abbiegen
können nicht verhängt werden!
Aktuellste Info: neue Fahrverbotsregelungen sollen nicht angewendet werden
Angeblich soll das Bundesverkehrsministerium nun die Länder aufgefordert haben, die neuen Bußgeldbestimmungen zum Fahrverbot nicht anzuwenden. Bis auf Weiteres sollten vielmehr wieder die alten Bußgelder und Geschwindigkeitsgrenzwerte gelten. Für Bußgeldbescheide, die nach Inkrafttreten der Reform am 28. April 2020 bereits nach den neuen, strengeren Regeln verhängt worden seien, würde angeblich bundesweit an einer Lösung gearbeitet.
Unser Tipp:
Bei einem Bußgeldbescheid, erst Recht einem mit Fahrverbot lieber gleich zum Rechtsanwalt und die Unwirksamkeit der Neuregelungen gegenüber der Bußgeldbehörde bzw. der Gericht geltend machen lassen! Wir raten Ihnen, zeitig einen Rechtsanwalt bzw. Fachanwalt für Verkehrsrecht zu konsultieren und den Bußgeldbescheid überprüfen zu lassen.
Unbedingt Einspruch einlegen!
Achtung: Auch wenn die Länder die Anwendung der neuen Fahrverbotsregeln aussetzen, sollte bei einem Fahrverbot nach dem neuen Bußgeldkatalog unbedingt Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid eingelegt werden! Es ist sonst nicht sicher, ob das (an sich unwirksame) Fahrverbot nicht doch gilt!
https://www.facebook.com/AnwaltRosenheim/posts/10158644673536974
Bei Fahrverbot unbedingt Bußgeldbescheid überprüfen lassen
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