Darf die Polizei mein Handy sicherstellen und durchsehen?
Wann ist die vorläufige Sicherstellung/Beschlagnahme von Handys und deren Durchsicht rechtmäßig?
1.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Kammerbeschluss vom 20.11.2019, Az: 2 BvR 886/19) setzt die Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Sicherstellung von elektronischen Speichermedien zum Zwecke der Durchsicht, ob auf den sichergestellten Geräten Daten gespeichert sind, die als Beweismittel von Bedeutung sein können, zunächst voraus, dass die Durchsuchung an sich rechtmäßig ist. Da das Verfahren im Stadium der Durchsicht nach § 110 StPO noch einen Teil der Durchsuchung nach § 102 StPO bildet, kommt es für die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Sicherstellung darauf an, ob die Voraussetzungen für eine Durchsuchung vorliegen. Sind die Voraussetzungen für eine Durchsuchung nicht gegeben, ist auch die Durchsicht als Teil der Durchsuchung unzulässig.
a) Notwendiger, aber auch in Anbetracht der Eingriffsintensität einer Wohnungsdurchsuchung hinreichender Anlass für eine Durchsuchung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z. B. Beschluss vom 24.05.1977; Az: 2 BvR 988/75) der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt auf konkreten Tatsachen beruhende Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Eine Durchsuchung darf somit nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind.
b) Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Durchsuchung muss im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten.
c) In formaler Hinsicht ist zu beachten, dass Durchsuchungen grundsätzlich nur durch den Richter angeordnet werden dürfen ( Richtervorbehalt), es sei denn, es liegen die Voraussetzungen von „Gefahr in Verzug“ vor.
Gefahr in Verzug besteht, wenn eine richterliche Anordnung nicht eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird. Die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolges muss auf Tatsachen gestützt werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrung gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus.
Die Sichtung der bei einem Beschuldigten aufgefundenen Datenträger und der darauf befindlichen Daten greift darüber hinaus in dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, weil dieses Recht die Befugnis des Einzelnen gewährleistet, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.06.2016, Az: 2 BvR 637/09). Insoweit sind an die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme hohe Anforderungen zu stellen:
Das LG Görlitz (Beschluss vom 18.06.2020, Az: 3 Qs 67/20) führt hierzu Folgendes aus:
„Der moderne Mensch hat den größten Teil seiner – teilweise intimsten – Kommunikation auf solchen Geräten gespeichert. Teilweise werden dort auch Selbstreflexionen niedergelegt. Die Parallele zum besonderen Schutz von Tagebucheinträgen drängt sich förmlich auf. Deshalb ist bei der Anordnung von Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Beschlagnahme von elektronischen Kommunikationsgeräten auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung besonderes Augenmerk zu legen, sie kann nur als ultima ratio zulässig sein.“
2.
Schließlich ist zu beachten, dass die Beschlagnahme des Originaldatenträgers (Handy) nur dann verhältnismäßig und damit rechtmäßig ist, wenn die Beschlagnahme für den konkreten Beweiszweck erforderlich ist. Dies ist nicht der Fall, wenn der konkrete Beweiszweck bereits mit der Sicherung der sich auf dem Originaldatenträger befindlichen beweiserheblichen Daten erreicht wird (vgl. MüKo/Hauschild, 1. Aufl. 2014, § 94 StPO Rn. 30). Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob die Sicherung der beweisrelevanten Daten mittels Anfertigung einer Kopie der Daten genügt. Der Originaldatenträger kann jedoch z.B. dann beschlagnahmt werden, wenn im Einzelfall der Verdacht besteht, dass sich auf diesem verborgene, verschleierte oder verschlüsselte beweisrelevante Daten befinden (Köhler, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 94 Rn. 18a).
Wann kann ich die Herausgabe vorläufig sichergestellter/beschlagnahmter Handys verlangen?
1.
Die Herausgabe beweglicher Sachen richtet sich nach § 94 Abs. 4 StPO i. V. m. §§ 111n,
§ 111o StPO.
Gemäß § 111n Abs. 1 StPO wird eine sichergestellte Sache, die für Zwecke des Strafverfahrens nicht mehr benötigt wird, grundsätzlich an den letzten Gewahrsamsinhaber herausgegeben. Abweichend davon wird die Sache gemäß
§ 111n Abs. 3 StPO an einen Dritten herausgegeben, wenn der Herausgabe an den Gewahrsamsinhaber ein Anspruch des Dritten entgegensteht und dieser bekannt ist.
Gemäß § 111n Abs. 4 StPO erfolgt die Herausgabe jedoch nur, wenn ihre Voraussetzungen offenkundig sind. Die Voraussetzungen müssen dabei in allen Fällen des § 111n StPO offenkundig im Sinne von offensichtlich sein (vgl. Köhler, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., 2022, § 111n Rn. 16). Die Frage der Offenkundigkeit ist anhand aller im Entscheidungszeitpunkt vorhandenen Beweismittel zu beurteilen. Im Lichte des Umstands, dass Herausgabeanordnungen nach § 111n StPO dem gerichtlichen Erkenntnisverfahren typischerweise vorgreifen, ist der nötige Grad an Sicherheit für die Annahmen, auf deren Grundlage eine Entscheidung nach § 111 n StPO getroffen wird, hoch anzusetzen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 30.08.2022, Az: 5 WS 231/22).
§ 111o I StPO regelt die Zuständigkeit für die Herausgabeentscheidung: Im Ermittlungsverfahren und nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens entscheidet die Staatsanwaltschaft, nach Anklageerhebung das mit der Hauptsache befasste Gericht.
Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft können die Betroffenen gerichtliche Entscheidung beantragen, § 111o Abs. 2 StPO. Die Entscheidungen des Gerichts über die Herausgabe unterliegen der Beschwerde nach § 304 StPO.
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