
Entscheidung BayVGH vom 04.02.2025 zu Medizinalcannabis und Fahreignung
Medizinal-Cannabis und Fahreignung: Wichtige Erkenntnisse aus der BayVGH-Entscheidung
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat in einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 4. Februar 2025 – 11 CS 24.1712) erneut klargestellt, dass die Einnahme von Medizinal-Cannabis unter bestimmten Bedingungen zu erheblichen Zweifeln an der Fahreignung führen kann. Die Entscheidung ist besonders für Cannabispatienten relevant, da sie wichtige Fragen zur Trennung von Einnahme und Verkehrsteilnahme, zur Kontrolle durch Behörden und zur generellen Handhabung des sog. Arzneimittelprivilegs aufwirft.
Die Kernpunkte der Entscheidung
1. Keine pauschale Fahreignung für Medizinal-Cannabis-Patienten
Ein wesentlicher Aspekt der Entscheidung ist die Feststellung, dass sich Patienten, die Medizinal-Cannabis auf ärztliche Verordnung hin einnehmen, nicht automatisch auf eine uneingeschränkte Fahreignung berufen können. Wer sich im Straßenverkehr als Cannabispatient ausgibt, gibt damit indirekt zu erkennen, dass er unter dem Einfluss von THC fahren könnte – und genau hier setzt die Problematik an. Erlangt die Fahrerlaubnisbehörde Kenntnis davon, dass jemand Cannabispatient ist, wird sie ein Eignungsüberprüfungsverfahren einleiten und die Fahreignung überprüfen lassen.
2. Verschreibungswidriger Konsum kann zur Fahreignungslosigkeit führen
Der BayVGH hebt hervor, dass eine Einnahme von Medizinal-Cannabis außerhalb der ärztlichen Verordnung als missbräuchliche Einnahme eines psychoaktiven Arzneimittels gewertet werden kann. In solchen Fällen kann die Fahrerlaubnisbehörde die Fahreignung infrage stellen – und dies auch ohne die Notwendigkeit eines konkreten Nachweises der THC-Grenzwertüberschreitung.
Cannabispatienten, die die Voraussetzungen des Arzneimittelprivilegs erfüllen, unterliegen aber keinem generellen Grenzwert.
3. Gesetzliche Grenzwerte gelten bei bestimmungsgemäßer Einnahme nicht
Derjenige, der Medizinal-Cannabis einnimmt und sich auf das Privileg für Cannabispatienten berufe, müsse sich auch stets dann an die dafür geltenden Bedingungen halten muss, wenn er die Fahreignung nicht verlieren will. Der Konsum von Cannabis zu Rauschzwecken und die Einnahme aus therapeutischen Gründen unterscheiden sich grundlegend, auch im Hinblick auf die Gefahren für den Straßenverkehr. Dem entspräche es, wenn die Fahreignung bei Einnahme von Medizinal-Cannabis nach bisheriger Rechtsprechung an gänzlich anderen Kriterien zu messen sei, deren Erfüllung auch unabhängig von Auffälligkeiten im Straßenverkehr in Frage gestellt sein könne. Dies lege nahe, die Maßstäbe der Nr. 9.2 sowie der Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV trennen.
Der BayVGH führt aus:
“Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Köln hat in einer aktuellen Studie seine Blutproben untersucht, die die Polizei in den Jahren 2019 und 2020 nach einer Verkehrskontrolle zur Untersuchung auf Cannabis eingesandt hat. Es kam zu dem Ergebnis, dass in allen 865 Fällen, bei denen der THC-COOH-Wert 150 ng/ml erreichte und daher sicher von einem täglichen oder nahezu täglichen Gebrauch auszugehen war (vgl. dazu Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 2 StVG Rn. 56), der Wert von 1 ng/ml THC überschritten wurde (vgl. Nikolic/Jübner/Lucuta/Rothschild/Andresen-Streichert, BA 2023, 61/67). Zudem haben die Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin und die Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie eine Empfehlung für eine Wartezeit bei regelmäßigem Konsum ausgesprochen. Zugrunde gelegt wird dabei die Einnahme moderater Einzelmengen von maximal 25 mg THC an mehreren Tagen in der Woche, aber auch nicht täglich. Bei diesem Konsummuster sei zumeist nach einer Wartezeit von drei bis fünf Tagen mit einem Unterschreiten des (höheren) Grenzwertes von 3,5 ng/ml zu rechnen (vgl. Fastenmeier/Brenner-Hartmann/Graw/Mußhoff a.a.O. S. 379). Dies wirft zwar die grundlegende Frage auf, wie das Spannungsverhältnis zwischen dieser fachlichen Einschätzung und der wertenden Entscheidung des Gesetzgebers, dass auch ein täglicher Cannabiskonsum die Fahreignung nicht ohne Weiteres ausschließt, aufzulösen ist und welche konkreten Anforderungen an ein angemessenes Trennverhalten bei der Begutachtung zu stellen sind.
Es zeigt aber jedenfalls, dass eine Einhaltung des Trennungsgebots nach den Annahmen der Fachgesellschaften in einer Konstellation wie hier sehr fraglich erscheint. Denn zum einen galt für den Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der Grenzwert von 1,0 ng/ml, nicht 3,5 ng/ml. Zum anderen hat er nicht nur mehrmals in der Woche, sondern täglich konsumiert und sich nicht auf moderate Einzelmengen im o.g. Sinn beschränkt. Soweit ersichtlich hatte das verschriebene Cannabis, wie erwähnt, einen Wirkstoffgehalt von etwa 20%. Bei einer Einnahme von 2 g Cannabis errechnet sich damit eine Menge von etwa 400 mg THC täglich, d.h. die sechzehnfache derjenigen, die die Fachgesellschaften ihrer Empfehlung zu Grunde legen. Sollte es im Hauptsacheverfahren darauf ankommen, müsste ggf. mit sachverständiger Hilfe versucht werden weiter aufzuklären, ob anzunehmen ist, dass der THC-Gehalt im Blutserum bei dieser Konsumintensität durchgehend über dem seinerzeit maßgeblichen Grenzwert von 1,0 ng/ml lag (VGH München Beschluss vom 04.02.2025 – Aktenzeichen 11 CS 24.1712).”
4. Keine verlässliche Kontrolle der Trennung zwischen Konsum und Fahren
Nach der medizinischen Literatur liege nach Auffassung des BayVGH die typische Tagesdosis bei bisher nicht mit Cannabis behandelten Patienten bei 0,05 bis 0,3 g Cannabisblüten (Müller-Vahle/Grotenhermen, Cannabis und Cannabinoide in der Medizin, S. 380). In der Praxis dürften daher auch eher geringe Dosierungen vorkommen, bei denen sich möglicherweise (längere) Zeitfenster am Tag ergeben, in denen der Betroffene ohne Verstoß gegen das Trennungsgebot am Straßenverkehr teilnehmen kann. Je höher hingegen die Dosis ist, umso wahrscheinlicher sei eine Verkehrsteilnahme unter Überschreitung des Grenzwertes. Entspräche die Verschreibung der Menge THC, die ein Freizeitkonsument mit mehreren Konsumeinheiten aufnehme, könne dies daher vermutet werden, sofern der Betroffene nicht Anderes substantiiert darlegt und glaubhaft macht.
Ein weiteres Problem sieht das Gericht in der praktischen Durchsetzung des Trennungsgebots. Wenn die Polizei im Straßenverkehr auf einen Cannabispatienten trifft und dieser angibt, Medizinal-Cannabis legal einzunehmen, wird in der Regel keine Blutprobe angeordnet – solange keine Ausfallerscheinungen feststellbar sind. Die Fahrerlaubnisbehörde erfährt daher häufig nicht, ob und in welchem Maß ein Cannabispatient tatsächlich unter THC-Einfluss am Straßenverkehr teilnimmt.
Cannabispatienten, die die Voraussetzungen des Arzneimittelprivilegs erfüllen (vgl. dazu Derpa in Hentschel/König, § 2 StVG Rn. 62b f.), unterliegen, wie erwähnt, keinem generellen Grenzwert. Da Medizinal-Cannabis regelmäßig und oft in kurzen Abständen zum Fahrtantritt eingenommen wird, geht das Gericht davon aus, dass THC-Werte von mehr als 1,0 oder 3,5 ng/ml im Blutserum keine Seltenheit sind. Dies könnte bedeuten, dass eine zuverlässige Kontrolle der Fahreignung bei Cannabispatienten nicht gewährleistet ist.
5. Gesetzliche Unterscheidung zwischen Freizeit- und Medizinal-Cannabis
Der BayVGH betont, dass der Gesetzgeber eine bewusste Trennung zwischen Medizinal- und Freizeit-Cannabis vorgenommen hat. Während für Freizeitkonsumenten klare Regeln zur Trennung von Konsum und Fahren bestehen, gelten für Cannabispatienten andere Maßstäbe. Diese Differenzierung könnte dazu führen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickeln muss, um eine einheitliche Bewertung der Fahreignung zu ermöglichen.
Die Entscheidung macht wieder deutlich, dass es für Cannabispatienten extrem wichtig ist, die ärztliche Verordnung nicht nur genau zu kennen, sondern sich auch peinlich genau an die Verordnung des Arztes zu halten.
Wer eigenmächtig davon abweicht, kann sich nicht auf das “Arzneimittelprivileg” berufen und riskiert seine Fahrerlaubnis.
6. Wichtige Handlungsempfehlungen für Medizinal-Cannabispatienten
Angesichts dieser Entscheidung sollten Patienten einige zentrale Punkte beachten:
✅ Ärztliche Verordnung strikt einhalten: Jegliche Abweichung von der verschriebenen Einnahme kann Zweifel an der Fahreignung begründen.
✅ THC-Werte im Blick behalten: Auch wenn Medizinal-Cannabis-Patienten nicht automatisch an Grenzwerte gebunden sind, sollten sie vermeiden, unter THC-Einfluss zu fahren, wenn eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit nicht ausgeschlossen werden kann. Es muss also vor jeder Fahrt sehr kritisch die eigene Fahrtüchtigkeit überprüft werden.
✅ Dokumentation führen: Wer regelmäßig fährt, sollte Nachweise über seine Behandlung, Einnahmezeiten und ärztliche Einschätzungen bereithalten, um sich im Ernstfall gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde zu verteidigen.
✅ Auf Polizeikontrollen vorbereitet sein: Die Angabe, Cannabispatient zu sein, schützt nicht automatisch vor fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen. Wer keine Ausfallerscheinungen zeigt, muss zwar in der Regel keine Blutprobe befürchten – doch die Behörde kann später dennoch Zweifel an der Fahreignung äußern. Wir empfehlen, unser Merkblatt für Polizeikontrollen zu beachten und am besten im Handschuhfach bereit zu halten!
Fazit
Die Entscheidung des BayVGH zeigt erneut, dass Medizinal-Cannabis-Patienten nicht automatisch von einer pauschalen Fahreignung ausgehen können. Die Fahrerlaubnisbehörden behalten sich vor, eine Fahreignung zu hinterfragen, insbesondere wenn der Konsum nicht strikt nach ärztlicher Verordnung erfolgt. Wer auf eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr angewiesen ist, sollte daher bewusst mit seiner Medikation umgehen und besonders darauf achten, Trennungsregeln konsequent einzuhalten.
🔍 Mehr zur aktuellen Rechtslage zu Cannabis und Fahrerlaubnis finden Sie auch in unseren weiteren Blogbeiträgen:
- Medizinisches Cannabis und Fahreignung: Was Patienten wissen müssen
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