Rückführung eines Asylbewerbers nach Italien rechtswidrig – Verwaltungsgericht hebt Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge auf
Urteil VG Darmstadt, Az.: 4 K 1536/14.DA.A
Mit Urteil vom 17.12.2014, hat das Verwaltungsgerichts Darmstadt der Klage eines eritreischen Staatsangehörigen stattgegeben, mit der dieser sich gegen eine Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach Italien gewandt hat.
Der Asylbewerber war im Januar 2011 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, wo er unter Berufung auf seine Desertion vom Militärdienst Asyl beantragte. Vor seiner Einreise in die Bundesrepublik hatte er bereits in Italien einen Asylantrag gestellt, im Rahmen dessen ihm auch ein sog. „subsidiärer Schutzstatus“ zuerkannt wurde. Im Hinblick darauf erklärte das BAMF den Asylantrag in Deutschland für unzulässig, mit der Begründung, Italien sei nach den europarechtlichen Vorgaben aufgrund des dort bereits durchlaufenen Asylverfahrens und des erteilten Aufenthaltstitels auch für die Bearbeitung des neuen Asylantrags zuständig. Hiergegen erhob der Kläger Klage und stellte zugleich einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, dem das Gericht mit Beschluss vom 16.11.2011 stattgegeben hatte.
In seinem Urteil vom 17.12.2014 führt das Gericht unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts aus, die Zuständigkeitsbestimmungen der sog. Dublin II – bzw. Dublin III – Verordnung, auf die das Bundesamt seine Entscheidung gestützt habe, fänden dann keine Anwendung, wenn der Asylbewerber wegen „systemischer Mängel“ des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedsstaat mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt würde. Nach Auswertung umfangreichen Erkenntnismaterials komme die Kammer zu der Auffassung, dass das in Italien derzeit herrschende Asyl- und Aufnahmeverfahren solche systemischen Mängel aufweise, mit der Folge, dass die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sei, selbst das Asylverfahren durchzuführen. Insbesondere drohten dem Kläger im Falle einer Rückführung nach Italien die konkrete Gefahr einer menschenunwürdigen Behandlung aufgrund Obdachlosigkeit und einer mangelnden Grundversorgung, mithin ein Leben in extremer Armut und Mittellosigkeit unterhalb des Existenzminimums. Die in Italien vorhandenen Kapazitäten der staatlichen und kommunalen Unterbringungsmöglichkeiten für Asylsuchende seien bereits jetzt bei weitem nicht ausreichend, wobei mit einem weiteren Anstieg der Asylbewerberzahlen zu rechnen sei. Auch sei eine Sicherung des Existenzminimums für Asylbewerber durch Sozialleistungen durch das dortige Sozialhilfesystem nicht gewährleistet. Auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung sei schwierig und in der Regel auf eine gesundheitliche Notfallversorgung reduziert. Von diesen in Italien herrschenden inakzeptablen Aufnahmebedingungen seien auch Schutzberechtigte wie der Kläger betroffen. Die hieraus resultierende Gefahr der Verletzung von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention bzw. Art. 4 der Grundrechtscharta und schließlich auch von Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland im Falle einer Rückführung nach Italien führe zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bundesamtsbescheids.
Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (Europäische Menschenrechtskonvention) bzw. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lauten:
„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland lautet:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Zitiert nach Pressemitteilung des VG Darmstadt v. 07.05.2015
Jürgen Liebhart
Rechtsanwalt
Dipl.-Verwaltungswirt (FH)