Richterinnen, Staatsanwältinnen sowie dürfen in in Verhandlungen sowie bei Amtshandlungen mit Außenkontakt kein Kopftuch tragen
Nach Art. 11 Abs. 2 des Bayerischen Richter- und Staatsanwaltsgesetzes (BayRiStAG) ist Richtern und Richterinnen, Staatsanwälten und Staatsanwältinnen sowie Landesanwälten und Landesanwältinnen unter bestimmten Voraussetzungen das Tragen religiös oder weltanschaulich geprägter Symbole oder Kleidungsstücke in Verhandlungen sowie bei Amtshandlungen mit Außenkontakt verboten. Dies ist nach einer Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes vom 14.03.2019 mit der Bayerischen Verfassung (BV) vereinbar. Das Kopftuchtrageverbot für Amtsträger ist daher auch nach der Bayerischen Verfassung verfassungsgemäß.
Popularklage gegen Bayerisches Gesetz zum „Kopftuchverbot“
Entschieden hatte der BayVGH über eine Popularklage nach Art. 98 Satz 4 BV. Deren Gegenstand war Art. 11 des Bayerischen Richter- und Staatsanwaltsgesetzes (BayRiStAG) vom 22. März 2018 (GVBl S. 118, BayRS 301-1-J). Die angegriffene Vorschrift regelt die Verpflichtung des betroffenen Personenkreises, eine Amtstracht zu tragen (Art. 11 Abs. 1 BayRiStAG), und enthält ferner eine Regelung, die Richtern und Richterinnen, Staatsanwälten und Staatsanwältinnen sowie Landesanwälten und Landesanwältinnen das Tragen sichtbarer religiös oder weltanschaulich geprägter Symbole oder Kleidungsstücke in Verhandlungen oder bei Amtshandlungen mit Außenkontakt unter bestimmten Voraussetzungen untersagt (Art. 11 Abs. 2 BayRiStAG). Dies wird als Koptuchverbot für Amtsträger angesehen.
Art 11 lautet:
„Amtstracht, Neutralität
(1) Richter und Richterinnen, Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sowie Landesanwälte und Landesanwältinnen tragen Amtstracht nach näherer Bestimmung der obersten Dienstbehörde.
(2) 1Richter und Richterinnen dürfen in Verhandlungen sowie bei allen Amtshandlungen mit Außenkontakt keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke tragen, die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung an Recht und Gesetz hervorrufen können. 2Satz 1 gilt für Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sowie Landesanwälte und Landesanwältinnen entsprechend.
3Weitergehende Vorschriften bleiben unberührt.“
Kopftuchverbot greift in Glaubens- und Gewissensfreiheit ein
Das Verbot nach Art. 11 II BayRiStAG greift nach der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes zwar in die durch Art. 107 Abs. 1 und 2 BV verbürgte Glaubens- und Gewissensfreiheit der betroffenen Amtsträger ein. Dennoch erscheint der Eingriff gerechtfertigt. Der BayVGH führt dazu aus (Quelle: Pressemitteilung Homepage):
„Das Verbot, in Verhandlungen sowie bei Amtshandlungen mit Außenkontakt sichtbare religiös oder weltanschaulich geprägte Symbole oder Kleidungsstücke zu tragen, greift in die Glaubens- und Gewissensfreiheit der betroffenen Amtsträger ein. Art. 107 Abs. 1 und 2 BV enthält ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht, das nicht nur die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, schützt, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten (VerfGHE 60, 1/8; in Bezug auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG: BVerfGE 108, 282/297; BVerfG vom 27.1.2015 BVerfGE 138, 296 Rn. 85). Hiervon sind nicht nur die eigentlichen kultischen Handlungen umfasst. Geschützt ist vielmehr das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und sein Leben in Übereinstimmung mit diesen Lehren zu führen. Somit fallen auch die Bekundung eines Glaubens durch das Tragen spezieller Kleidungstücke oder Symbole sowie die Einhaltung religiöser Bekleidungsvorgaben in den Schutzbereich des Art. 107 Abs. 1 und 2 BV. Auf diese Grundrechtspositionen können sich grundsätzlich auch die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehenden Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Landesanwältinnen und Landesanwälte berufen (VerfGHE 60, 1/8 f.; BVerfGE 138, 296 Rn. 84).“
Abwägung der betroffenen Verfassungsgüter geht zugunsten Neutralitätspflicht des Amtsträgers aus
Im Widerstreit hierzu stehen die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Prozessbeteiligten und die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität im Bereich der Justiz. Bei der Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter durfte der Gesetzgeber insbesondere berücksichtigen, dass die Person des Amtsträgers bei der Ausübung der übertragenen Funktion tendenziell hinter dem Amt zurücktritt. Hierzu merkt der BayVGH an:
„Die Glaubens- und Religionsfreiheit wird durch die Bayerische Verfassung vorbehaltlos gewährleistet. Nach einhelliger Auffassung in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und verfassungsrechtlichen Literatur sind jedoch vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte ihrerseits nur Bestandteil der Verfassung insgesamt und finden ihre immanenten Grenzen dort, wo kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte Wertung in die Beurteilung einzubeziehen sind (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 12.3.2007 VerfGHE 60, 52/56; BVerfG vom 26.6.1991 BVerfGE 84, 212/228; BVerfGE 108, 282/297; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 107 Rn. 38; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, vor Art. 1 Rn. 48 f.). Vor diesem Hintergrund greift die Argumentation der Antragsteller, die Religionsausübungsfreiheit sei durch Art. 107 Abs. 1 und 2 BV schrankenlos gewährleistet und dürfe deshalb durch einfaches Gesetz nicht beschränkt werden, zu kurz. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, im Fall des Aufeinandertreffens widerstreitender Verfassungsgüter gesetzliche Grundlagen für einen möglichst schonenden Ausgleich der kollidierenden Gewährleistungen zu schaffen.
(…)
Der Gesetzgeber hat im Fall des Aufeinandertreffens widerstreitender Verfassungsgüter einen möglichst schonenden Ausgleich zwischen den kollidierenden verfassungsrechtlich geschützten Werten zu schaffen (VerfGHE 50, 156/166; 60, 1/10). Er verfügt bei der Beurteilung der tatsächlichen Entwicklungen und der Auswirkungen von Maßnahmen, mit denen den Gefahren für die widerstreitenden Verfassungspositionen begegnet werden kann, über eine Einschätzungsprärogative. Soweit der Normgeber für die Frage, in welcher Weise er ein bestimmtes Sachgebiet regeln will, Wertungen und fachbezogene Abwägungen vornimmt, können diese verfassungsrechtlich nur beanstandet werden, wenn sie eindeutig widerlegbar und offensichtlich fehlerhaft sind oder wenn sie der verfassungsrechtlichen Wertordnung widersprechen (VerfGHE 60, 1/10).
(…)
Der Gesetzgeber hat die institutionelle Neutralität der Justiz in Übereinstimmung mit der verfassungsrechtlichen Wertordnung als besonders schützenswertes Gut angesehen. Es ist ein wesentliches Kennzeichen der unabhängigen Justiz im Sinn des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung, dass die richterliche Tätigkeit von neutralen und objektiven Amtsträgern ausgeübt wird. Die Vorstellung neutraler Amtsführung ist mit den Begriffen „Richter“ und „Gericht“ untrennbar verknüpft (vgl. nur BVerfG NJW 2017, 2333 Rn. 49 m. w. N.; VerfGHE 63, 144/154) und stellt eine unverzichtbare Bedingung für die Akzeptanz der Rechtsprechung durch die Bevölkerung dar. Auf der anderen Seite durfte der Gesetzgeber im Rahmen der Abwägung berücksichtigen, dass die Person des Amtsträgers bei der Ausübung der ihm übertragenen Funktion tendenziell hinter seinem Amt zurücktritt und er – soweit durch sein Amt geboten – bei der privaten Selbstdarstellung im Rahmen der Amtstätigkeit dem Gebot der Mäßigung unterworfen ist (vgl. hierzu Payandeh, DÖV 2018, 482/487). Dementsprechend ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den Verfassungsgütern, die mit dem Verbot geschützt werden, größeres Gewicht beigemessen hat als der mit der angegriffenen Regelung verbundenen Beeinträchtigung des Grundrechts der Amtsträger auf freie Bekundung ihres Glaubens.“
Damit betont der BayVGH nochmals, dass eine neutrale, unabhängige Justiz als ein besonders schützenswertes Gut anzusehen ist. Diesem ist das persönliche Interesse an Selbstdarstellung bzw. freier Bekundung des eigenen Glaubens unterzuordnen.
Kein Verstoß beim Kopftuchverbot gegen Gleichheitssatz oder freien Zugang zu Ämtern
Auch einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 118 I BV bzw. das Recht auf Zugang zu den öffentlichen Ämtern nach Art. 116 i.V.m. 107 IV BV hat das Gericht nicht gesehen.
Quelle / Zitat
Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 14. März 2019 über die Popularklage auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Art. 11 des Bayerischen Richter- und Staatsanwaltsgesetzes (BayRiStAG) vom 22. März 2018 (GVBl S. 118, BayRS 301-1-J), Aktenzeichen: Vf. 3-VII-18, zitiert nach https://www.bayern.verfassungsgerichtshof.de/media/images/bayverfgh/3-vii-18.pdf
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